Eine der bestbewachten Grenzen der Welt befindet sich an der Nordspitze Afrikas: An der Strasse von Gibraltar besitzt Spanien mit Ceuta eine Exklave auf afrikanischem Boden, umgeben von marokkanischem Staatsgebiet. Die Staatsgrenzen im europäisch-afrikanischen Grenzgebiet sind kompliziert: Auch auf der europäischen Seite gibt es eine Exklave: Gibraltar ist ein britisches Überseegebiet. Das heisst, es hat weitreichende Autonomie und ist nicht Teil des Vereinigten Königreichs. So sieht die Grenzregion auf der Landkarte aus:

Doch zurück nach Afrika, nach Ceuta. Die spanische Exklave hat interessanterweise keinen Flughafen, nur einen Heliport (wo laufend Helikopter aus Málaga landen) und einen Fährhafen mit Verbindungen ins spanische Algeciras. Letzteres trägt einen arabischen Namen, der Ortsname ist von Al-Jazira (die Insel) abgeleitet. Ceuta hingegen wirkt auf den ersten Blick weder spanisch noch afrikanisch, sondern portugiesisch: Es begrüsst die Fährpassagiere mit einem grossen portugiesischen Wappen am Hafen.

Tatsächlich war Ceuta mal portugiesisches Territorium, bevor es an Spanien fiel. Aus dieser Zeit behielt es gleich das portugiesische Staatswappen als sein eigenes. Heute hat Ceuta den Status einer Autonomen Stadt. Deshalb hängt am spanischen Parlament in Madrid neben den Wappen aller autonomen Gebiete Spaniens auch jenes von „Portugal“.

Ceuta wirkt ein bisschen kolonial und damit lateinamerikanisch, was angesichts der Geschichte nicht erstaunt. Das Stadtzentrum ist nett, aber nicht sehr speziell: Da hat Spanien mehr zu bieten. Aber natürlich war ich wegen der Grenze gekommen, und diese ist hier sehr präsent. Sie gilt als eine der am schwersten überwindbaren Grenzen der Welt. Denn hier haben mehrfach afrikanische Migranten versucht, „europäischen“ Boden zu betreten. Ständig wurden die Grenzanlagen ausgebaut, mittlerweile sind sie ein Sinnbild der „Festung Europa“, die man aus südlicher und östlicher Richtung kaum betreten kann.
Erstaunlicherweise gibt es einen Aussichtspunkt mit Blick auf diese Grenzbefestigungen, den „Mirador de la Frontera“. Es ist nicht ganz einfach, da hinzukommen: Ein stündlich verkehrender Bus fährt nur bis zum unterhalb des Hügels gelegenen Gefängnis, die Taxifahrer kennen den Ort nicht. Kein Wunder: Er ist nur auf den Landkarten verzeichnet, kein Wegweiser führt dahin. Also lotste ich den Taxifahrer, bis er den Weg gefunden hatte. Die Aussicht ist wirklich eindrücklich:

Die Grenzbefestigung der EU: So sieht sie also aus. Kein allzu grosser Unterschied zur verpönten Mauer im Westjordanland, oder? Sie besteht aus einer Strasse, die Zivilisten nicht betreten dürfen, einem Zaun, noch einem Weg und einem höheren Zaun – und dahinter der Grenze. Doch das ist nicht alles: Auf der marokkanischen Seite gibt es ebenfalls einen Zaun und ein etwa einen Kilometer breites militärisches Sperrgebiet. Darin sieht man Kasernen, eine weisse Moschee und ein halbes Dorf. Schon irgendwie schwer vorstellbar, dass es hier manchmal zu einem Ansturm von Migranten auf die EU-Aussengrenze kommt. Oder vielleicht eben nicht mehr, seitdem die Grenze so ausgebaut ist. „Festung Europa“ eben.

Die eigentliche Grenze befindet sich im Tal unten, man darf sich ihr nicht nähern. Also spazierte ich auf dem Hügel der Grenze entlang in nördlicher Richtung. Immer wieder stiess ich auf Armeepatrouillen und Militärstützpunkte – aber auch auf weitere Aussichtspunkte, mehrheitlich in Richtung der Stadt Ceuta. Dennoch war ich nicht der einzige, der im Grenzgebiet unterwegs war. Vielmehr gibt es hier sogar ein markiertes Wanderwegenetz, grösstenteils bewegte ich mich auf diesem. Darauf kam ich aber erst, nachdem ich die Hälfte der Strecke schon zurückgelegt hatte – allzu gut markiert sind die Wege also nicht.

Die Grenze von Ceuta ist schon seit Jahrhunderten von grosser Bedeutung. Immer wieder stiess ich auf solche Wachtürme, jeweils an den aussichtsreichtsten Punkten. Heute sind sie verlassen. Bei manchen steht die Tür offen und man kann sie entdecken gehen. Sie bieten stets eine gute Aussicht!
Am nördlichen Ende der Grenze kam ich in eine felsige Gegend. Hier war ein letzter Aussichtspunkt in der Landkarte eingezeichnet. Doch um ihn zu erreichen, musste ich ein Stück weit die Felsen hochklettern. Sollte ich meiner Neugier den Vorzug geben, oder doch lieber vorsichtig bleiben? Die Neugier gewann letztlich. Es lohnte sich. Ich gelangte in eine schattige Felsnische mit perfektem Ausblick auf das spanische Grenzdorf Fronteriza, den Grenzzaun und das erste marokkanische Dorf Belyounech.

Hinunter ins Dorf Fronteriza führt ein steiler Weg – zumindest auf der Landkarte. In der Realität existiert er nicht, es ist nur eine Geröllhalde und danach ein abschüssiges Stück Wald. Bei genauerer Betrachtung der Landkarte stellte sich heraus, dass der „Weg“ als „Subida de Esparta“ beschriftet ist, also als Abschnitt einer der in Spanien beliebten Spartan Races. Wie auch immer, vorsichtig gelangte ich ins Tal und damit auch auf die verbotene Grenzstrasse, die hier mit vielen Warnschildern, aber ohne physische Barriere beginnt.

Fronteriza ist ein arabisch geprägter Weiler mit passendem Namen: Es liegt direkt an der Grenze, bzw. verläuft diese mitten durch den Ort. Früher gab es hier einen Grenzübergang, mittlerweile ist alles abgeriegelt. Der vordere Grenzzaun gehört Spanien. Dahinter die Bauten der marokkanischen Sicherheitskräfte und die marokkanische Mauer. Einst war dies eine geschlossene Mauer – heute benötigt der Bewohner des weissen Hauses ganz rechts weit mehr als eine Stunde, um zur Moschee zu gelangen, die er von seinem Fenster aus sieht und die ihn sicher jeden Morgen weckt.

Hier trifft der Grenzzaun auf die Strasse von Gibraltar. Würde sich dahinter nicht die marokkanische Sicherheitszone befinden, könnte man sicher rund herum schwimmen. Von Fronteriza aus fährt jede Stunde (jeweils zur Minute .30) ein Bus der AMGEVICESA-Linie 5 zurück ins Stadtzentrum von Ceuta (0.85 €, nur Bargeld) – also ideal für Grenzwanderer. Den Rest des Tages verbrachte ich mit dem Entdecken der spanisch-afrikanischen Stadt, was mehr als genug Zeit war. Einen grossen Teil der Nachmittags verbrachte ich mit einem guten Buch (The Curtain and the Wall von Timothy Phillips, sehr empfehlenswert) im einzigen noch geöffneten Chiringuito am Meer, was sicher die richtige Entscheidung war.




Am nächsten Tag machte ich mich dazu auf, die Grenze zu überqueren. Es gibt nur einen offenen Grenzübergang, zwischen der spanischen Ortschaft El Príncipe und dem marokkanischen Fnideq. Dies ist einer von nur zwei Landgrenzübergängen von Spanien nach Marokko, der zweite befindet sich zwischen Melilla und Nador. Der Grenzübergang ist vom Stadtzentrum aus leicht erreichbar mit der AMGEVICESA-Buslinie 7, die im Viertelstundentakt verkehrt.

Wenn man den Bus verlässt, hat man den Eindruck, schon in Marokko zu sein: Das Dorf El Príncipe unterscheidet sich optisch null von den umliegenden marokkanischen Dörfern. Es gibt drei Moscheen (ein Minarett ist rechts im Bild zu sehen), die Bevölkerung ist mehrheitlich muslimisch und arabischsprachig. Dies trifft übrigens auf etwa die Hälfte der Bevölkerung der ganzen Exklave Ceuta zu. Spanisch ist aber, dass man sich von dort aus entlang des Strands an einer Reihe von Chiringuitos (Strandbars) entlang zum Grenzübergang bewegt. Die letzte Bar heisst „La Puerta de Europa“ (das Tor Europas) und dürfte die letzte Möglichkeit für einige hundert Kilometer sein, ohne Weiteres Bier zu kaufen.



Missmutig steuerte ich den Grenzposten an. Ich hatte schlecht geschlafen in meinem Hotel in der Fussgängerzone von Ceuta. Die Lage war mir perfekt erschienen, doch ich hatte mich getäuscht: Die ganze Nacht war Lärm. Der ausgesprochen freundliche spanische Grenzwächter riss mich aus meiner Lethargie, fragte beschwingt nach meiner Herkunft und zu meiner grossen Überraschung, ob ich einen Stempel im Pass wolle – das kommt in EU-Staaten eigentlich gar nie vor, in Brexit-Gibraltar hatte man mir den Stempel sogar trotz Bitte darum verweigert. Bevor ich antworten konnte, prangte er schon im Pass und meine Laune hatte sich erheblich gebessert. Welch Freude, den Stempel einer solch speziellen Grenze zu haben! Komischerweise war ich fast ganz allein am Grenzübergang, und so war ich fünf Minuten später auch durch die marokkanische Kontrolle durch und stand allein auf der anderen Seite. Ich hatte mit langen Schlangen gerechnet und war etwas perplex. Um die Grenzatmosphäre noch etwas zu geniessen, beschloss ich, die 2 km ins nahe gelegene Grenzdorf Fnideq zu spazieren, anstatt eines der vielen wartenden Taxis zu nehmen.

Unglaublich, wie abgeriegelt diese Grenze ist! Die ersten marokkanischen Strände sind mit Stacheldraht abgesperrt – welch Kontrast zu den Chiringuitos auf der spanischen Seite. Im Abstand von etwa 200 Metern stehen Kastewagen entweder der Polizei oder der „Forces Auxiliaires“ (die Sicherheitskräfte des Innenministeriums). Die Polizisten standen vor ihren Wagen und rauchten. Ich war der einzige Passant und kam mir erheblich überwacht vor. Bis hinein in die Ortschaft Fnideq begleitete mich dieser Kordon wachsamer Augen – aber auf europäische Touristen hatte er es offensichtlich nicht abgesehen.




Fnideq ist ein verschlafenes Dorf mit einigen Strandhotels und einer Basarstrasse, in der ich mir erst mal einen marokkanischen Minztee gönnte. Weiters stellte ich fest, dass die Ortsverwaltung offenbar ihren Namen aus osmanischer Zeit behalten hat: Pachalik (wie Türkisch paşalık). Weiter gab es nichts zu tun, deshalb erkundigte ich mich bald nach den Weiterreisemöglichkeiten nach Tétouan, die nächst grössere Stadt. Der Bus verkehrt stündlich und war mir gerade entwischt. Glücklicherweise gibt es aber auch „Grand Taxis“, die ständig in einer Seitenstrasse neben dem Busbahnhof losfahren. Die Fahrt dauert eine Halbstunde und kostet nur 17 MAD (ca. 1.60 EUR).
In Tétouan fühlte ich mich dann, als wäre ich wieder in Spanien. Die Stadt sieht Granada zum verwechseln ähnlich. Kein Wunder allerdings: Die Architektur beider Städte ist von ihrer maurischen Vergangenheit geprägt, wobei die Kasbah von Tétouan nicht ganz mit der Alhambra Granadas mithalten kann. In den neueren Teilen der Innenstadt dominiert der spanische Modernismus, denn Tétouan gehörte zu dieser Zeit zu Spanien. Aber es war schön und angenehm und zu meiner Überraschung entpuppte sich die marokkanische „Tajine à la tomate et aux œufs“ als identisch mit Shakshuka.




