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Silbermine Potosí: Durch enge Stollen zu den bolivianischen Bergleuten

In Europa wäre eine Bergwerks-Tour wie in Potosí völlig undenkbar: Man betritt eine Mine, die voll in Betrieb ist - mit üblen Arbeitsbedingungen und minimalsten Sicherheitsvorkehrungen. Im bolivianischen Hochland hingegen dreht sich alles um den Bergbau und es gilt als selbstverständlich, dass man ihn auch den Touristen zeigt.

Will man die Minen besuchen, muss man sich zuerst Gedanken zur Ethik und Sicherheit machen (mehr dazu unten). Dann kann man sich bei einem der viele Unternehmen melden, die täglich Touren durchführen. Meine Wahl fiel auf den Anbieter Big Deal Tours, da er ehemaligen Bergarbeitern gehört, die auch die Touren durchführen. So weiss man zumindest, wie man sich in den Minen und im Umgang mit den Bergleuten korrekt verhält. Und das Geld geht an die richtige Adresse.

Kolonialer Prunk: Dank der Minen war Potosí einst reichste Stadt Amerikas.

Die Minen in Potosí stammen aus der Kolonialzeit. Damals wurden im mineralreichen, 4782 m hohen Cerro Rico vor allem Silber abgebaut, was Potosí zur reichsten und grössten Stadt Amerikas machte. Während Spanien vom Silbersegen profitierte, musste die einheimische Bevölkerung schuften. Und nicht nur sie: Hunderttausende Sklaven wurden aus Afrika nach Potosí gebracht. Die Arbeit in den Minen war gefährlich, Millionen starben. Was eindrücklich ist: an den Arbeitsbedingungen hat sich bis heute kaum etwas geändert.

Die Quartiere am Cerro Rico sehen weniger wohlhabend aus als das Zentrum.

Bevor der Tourist die Mine betritt, muss er drei vorbereitende Etappen durchlaufen. Die erste ist der Bergarbeitermarkt. Er befindet sich in einem hoch gelegenen Stadtteil, direkt unter den Mineneingängen. Hier versorgen sich die Bergleute mit dem Essentiellen: Coca-Blätter, Zigaretten, Alkohol, Süssgetränke und Dynamit. Sprengstoff ist in den Läden hier frei verfügbar. Aber nur in Potosí, man darf ihn nicht in andere Teile Boliviens mitnehmen. Unser Guide empfahl, eine Tasche voll mit Süssgetränken und Coca-Blättern zu packen, als Mitbringsel für die Bergleute. Coca-Blätter gibt es übrigens in mindestens 20 Geschmacksrichtungen, bis hin zu Red Bull für den besonderen Kick.

Guide Wilson demonstriert den SUVA-konformen Umgang mit Sprengstoff. Das grüne Kabel ist eine Zündschnur mit 4 Minuten Brennzeit. In der anderen Hand hält er 96%-igen Alkohol, den Bergarbeiter gern trinken.

Die zweite Etappe ist die Garderobe der Bergleute. Man betritt eine Mine im Normalbetrieb, in der gesprengt und abgebaut wird. Die Gänge sind voller Schlamm, die Luft voll toxischen Staubs. Alle Teilnehmer erhalten darum Gummistiefel, Überbekleidung, Helm und eine Gesichtsmaske. So ausgerüstet sind auch die Bergleute, nur Überkleider tragen die wenigsten. Stattdessen dominieren Fussballtrikots.

Im Stollen-Outfit

Die dritte Etappe ist die Raffinerie (spanisch ingenio). Hier wird das abgebaute Erz verarbeitet. Es enthält Silber, Zink und Blei, das aber erst aus dem Stein gewonnen werden muss. Dazu wird das Erz zuerst zertrümmert, oft von Hand mit Vorschlaghämmern oder mit Baggerschaufeln. Dann geht es durch verschiedene Mühlen. Der so entstandene Sand landet in verschiedenen Bottichen mit ungesund grünlich und bläulich schimmernden Flüssigkeiten: Chemikalien, die das Metall aus dem Sand lösen. Am Ende bleiben kleine Metallplatten übrig. Überall stehen Fässer mit den Chemikalien herum, die keinen besonders ungiftigen Eindruck machen.

Die Chemikalien bewirken, dass sich das Metall setzt und der Sand oben weggeschwemmt wird.

Die Minen von Potosí beschäftigen heute 2000 Personen. Es gibt hier keine grossen Bergbau-Unternehmen, sondern die Bergarbeiter sind in Kooperativen organisiert. Am Cerro Rico gibt es unzählige Mineneingänge, die alle von anderen Kooperativen betrieben werden. Es ist gar nicht so einfach, Mitglied zu werden. Man muss drei Jahre für ein Kooperativen-Mitglied im Berg arbeiten und verdient dabei deutlich schlechter als die Mitglieder. Erst dann entscheidet die Kooperative über die Aufnahme, wobei eine Aufnahmegebühr von ungefähr 4000 Bolivianos (ca. 250 Fr.) fällig ist. Der Lohn der Bergleute ist relativ gut, doch sie zahlen einen hohen Preis dafür: Die Bergarbeit verkürzt die Lebenserwartung deutlich. Wegen der giftigen Stäube ist es unvermeidbar, dass sie an Silikose erkranken – nach zehn Jahren in der Mine schrumpft das Lungenvolumen auf die Hälfte.

Mineneingang der Kooperative Kunti, die ich auf meiner Tour besuchte.

Rituale spielen bei den Bergleuten eine grosse Rolle. Sie orientieren sich stärker an der alten Inka-Religion als am Christentum. Auf dem Bild oben sieht man, dass das Eingangsportal schwarz gefärbt ist. Dies liegt daran, dass die Bergleute Lamas opfern und ihr Blut an den Mineneingang spritzen. Dieses Jahr hat die Kooperative Kunti bereits 46 Lamas geopfert. Am Tageslicht ist die Inka-Göttin Pachamama für die Bergleute zuständig, im Berginnern hingegen der Gott Tío. In der Nähe aller Mineneingänge gibt es Statuen von ihm, die an indische Gottheiten erinnern. Bergleute bringen Tío Coca-Blätter, Zigaretten und Alkohol. Auch unsere Gruppe trank zwei Runden Shots (jawohl, der 96%-ige Alkohol) auf sein Wohl.

Tío, überdeckt mit Coca-Blättern, zu seinen Füssen Fläschchen mit ethylischem Alkohol.

Wir blieben etwa anderhalb Stunden im Berg und legten dabei rund 4 Kilometer zurück (der Schrittzähler funktioniert auch unter Tag, ist also nicht GPS-basiert). Bis zu einem Kilometer drangen wir in den Berg ein. Das war ziemlich streng: Der Eingang befindet sich auf rund 4200 Metern über Meer. Es ist also ziemlich kalt, aber nur auf den ersten Metern. Je weiter man im Berg ist, desto wärmer wird es, denn der Cerro Rico ist ein Vulkan. Zudem werden die Stollen immer enger, so dass man nicht mehr aufrecht gehen kann.

Nichts für Klaustrophobiker: Die engen Gänge der Mine

Es ist so eng, dass man nur an Verzweigungen und Ausbuchtungen den Wagen der Bergleute ausweichen kann, die das abgebaute Eisenerz transportieren. Darum trieb uns Führer Wilson an, möglichst schnell durch die heissen, engen Stollen zu marschieren. Einmal verpassten wir den richtigen Moment, ein Wagen musste seine Fahrt kurz unterbrechen. Die Bergleute fluchten wie Rohrspatzen. Doch Wilson hatte uns darauf vorbereitet: Das Fluchen ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit unter Tag.

Wenn die Waggons durch die Stollen schiessen, bleibt wenig Platz für Touristen.
Manchmal muss man auch als Tourist anpacken: Die Waggons entgleisen oft. Bis sie wieder auf den Schienen sind, gibt es kein Durchkommen.

Beim Spazieren durch die Gänge muss man die Sinne beieinander haben, denn es laufern viele Gefahren. Die offensichtlichste: der Staub, besonders in der Nähe der Sprengungen. Er enthält Asbest und eine Menge anderer giftiger Stoffe. Zudem kommt man immer wieder an Löchern vorbei, die sich völlig ungesichert direkt neben oder sogar unter den Geleisen befinden – ein bisschen wie Gletscherspalten im Gebirge. Sie führen zu tieferen Lagen der Mine und sind bis zu 1000 Meter tief. Da wir uns dies schwer vorstellen konnten, warf Wilson eine Plastikflasche hinunter. Die Geräusche zeigten deutlich, wie weit weg der Boden entfernt war.

Aus sicherer Distanz betrachtet: die hinuntergeworfene Flasche war noch lange zu hören.
An diesem Loch führt kein Weg vorbei, man muss über die Schienen balancieren.
Ein bisschen furchteinflössend sind auch die Holzgestelle, auf denen Erz aus höheren Schichten gelagert wird, um sie später in Waggons abzufüllen.

Einstürze hingegen sind selten und auch meist nicht lebensbedrohlich, ausser man wird direkt vom Fels getroffen. Die meisten Gänge haben mehrere Ausgänge, teils auch zu den Eingängen anderer Kooperativen. Es gehört sich aber nicht, diese zu benützen – ausser im Notfall. Auch die Orientierung ist nicht allzu schwierig, da man anhand der Weichen meist erkennen kann, in welche Richtung es nach draussen geht – zumindest im „Parterre“, wo wir uns bewegten – es geht ja auch noch mehrer hundert Meter hinauf und hinunter, wohin man Touristen nicht bringt. Um Einstürze zu vermeiden, werden stabile Gesteinsschichten an strategischen Orten belassen, anstatt ihr wertvolles Erz abzubauen.

Wieder an der frischen Luft: Die Bergleute leeren das Erz auf eine Halde. Und wir Touristen atmen doch etwas auf.

Zuletzt noch die Frage der Sicherheit und Ethik. Wie berichtet, sind die Sicherheitsvorkehrungen in den Minen rudimentär. Man muss körperlich einigermassen fit sein, um auf dieser Höhe geschwind durch die engen Stollen tappen zu können. Und jederzeit auf Löcher und die vorbeischiessenden Waggons aufpassen. Aber täglich finden zahlreiche solche Touren statt, Zwischenfälle sind keine bekannt. Wer fit genug und kein Klaustrophobiker ist, kann sich durchaus wagen. Ob es in Ordnung ist, einen solch elenden Arbeitsplatz in einem armen Land zu besuchen, ist eine andere Frage, die jede/r für sich selbst beantworten muss. Dazu nur so viel: Die Bergleute sind stolz auf ihre Arbeit, sprechen gern darüber und posieren für Fotos. Als wir dem Gott Tío unsere Opfer brachten, bat ihn Führer Wilson um mehr Touristen – besonders Japaner, die am meisten Trinkgeld geben. Aus Sicht der Betroffenen scheinen diese Touren also OK zu sein – besonders, wenn man sie bei den Bergleuten selber bucht.

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