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Allein zu Fuss über die Anden: von Bolivien nach Chile

3695 m hoch ist der Ollagüe-Pass. Er bildet die Grenze Boliviens zu Chile. Auf der Passhöhe befindet sich ein Salzsee, umringt von fast 6000 m hohen, aktiven Vulkanen.

Ein eindrücklicher Ort, aber das Breithorn unter den Anden-Pässen. Die beiden Grenzorte Avaroa (Bolivien) und Ollagüe (Chile) sind nur 5 Kilometer von einander entfernt, verbunden durch eine geteerte Strasse und eine Eisenbahn. Die Andenquerung ist also schwerlich eine sportliche Leistung. Da es aber sehr schön war, hier die besten Fotos. Sie sprechen für sich, und für einmal habe ich keine Lust auf ausufernde Texte.

Rechts Bolivien, links Chile. Der Pass lässt sich ganz ohne Höhenmeter queren, da sich auf der Passhöhe ein Salzsee befindet.
Anreise: Den bolivianischen Grenzort Avaroa erreicht man am besten von Uyuni aus. Dort fahren die Busse (Preis 100 Bolivianos) zwischen 5 und 6:30 Uhr los. Es ist noch dunkel und bitter kalt (-5° C). Die Passagiere bibbern im Busbahnhof, draussen gibt es an einem Stand heissen Tee und Kaffee.
Die Strasse an die Grenze ist grösstenteils unbefestigt und quert ein vollkommen abgelegenes Gebiet auf einer Höhe zwischen 3500 und 4000 Metern.
Avaroa, die bolivianische Grenzstation. Hier herrscht wohltuenedes Chaos. Trotz abschiedener Lage gibt es hier alle Essenzielle für Grenzübergänge (wenn auch nur jeweils einmal): Restaurant, Trucker-Unterkunft, WC, Duschen, Strassenhunde, Geldwechsel, Laden. Die Busse bleiben erst mal ziemlich lange stehen, aber ich stieg sowieso aus, da ich die Grenze zu Fuss überqueren wollte.
Avaroa hat sogar einen Bahnhof mit Aussicht auf mehrere Vulkane. Personenverkehr gibt es hier leider seit Jahren nicht mehr, dafür sehr regen Güterverkehr.
Neben dem Bahnhof befindet sich das Ufer des Salzsees: Selfie-Time (für einmal). Im Hintergrund der Vulkan Ollagüe (5868 m), der dem chilenischen Grenzort und dem Pass den Namen gibt. Er ist aktiv, den ganzen Tag sah man Rauchwolken aufsteigen (etwas rechts der Bergspitze sichtbar).
Das Grenztor wird nur gelegentlich geöffnet, um eine Tranche Fahrzeuge durchzulassen – teils sehr lange nicht. Das System habe ich nicht durchschaut. Es hat aber auch mich nicht durchschaut: als ich ohne Fahrzeug zum Kontrollpunkt kam, herrschte erst mal Verwirrung. Doch die bolivianischen Grenzwächter sind allesamt ausgesprochen freundlich und kooperativ, so dass keine Probleme entstanden und ich schnell mit Stempel im Pass unterwegs nach Chile war.
Die 5 Kilometer lange Wanderung zwischen den Grenzpunkten verläuft entlang einer schnurgeraden, geteerten Strasse – nicht gerade das, was man klassischerweise Wanderung nennt. Dennoch ist es ungemein kurzweilig, dank Eisenbahn-Relikten wie im Bild, der eigentlichen Grenze (unten) und gelegentlichen Begegnungen mit anderen Touristen und Lastwagen-Chauffeuren – ganz zu schweigen von der grandiosen Aussicht auf die umliegende Vulkanwelt.
So sieht die Grenze auf fast 3700 Metern aus. Diese alten Metallschilder (aus britischer Produktion?) stehen überall an den südamerikanischen Grenzen – herrlich! Da musste halt noch ein Selfie her.
Beschwingt und in bester Stimmung treffe ich in Chile ein, dem wohlhabendsten Land Südamerikas.
Nach der Begegnung mit den chilenischen Grenzwächtern tritt sofort Ernüchterung ein: sture Bürokraten, die ihre ärmeren Nachbarn gern ihre Macht spüren lassen – wie früher die Slowenen an der Grenze zu Kroatien. Auf meiner Zolldeklaration hatte ich einen kleinen Fehler gemacht. Dafür sollte ich die Deklaration gleich nochmals ausfüllen. Ich lehnte ab, glücklicherweise liess er mich dennoch durch – mit erhobenem, ermahnendem Zeigefinger. (Aber wen interessieren all diese Zolldeklarationen überhaupt? Die landen wohl auf einem Stapel und werden irgendwann verbrannt…).
Eine weitere Überraschung: Die klassische Grenzinfrastruktur fehlt auf der chilenischen Seite. Es gibt keine Möglichkeit, chilenische Pesos zu erwerben, weder Bankomaten noch Wechselstuben. Immerhin konnte das Gasthaus, in dem ich übernachtete, den doppelten Betrag der Übernachtungskosten von der Kreditkarte abbuchen und ihn mir bar auszahlen. Die 25000 Pesos (ca. 21 Fr.) reichten exakt für zwei Mahlzeiten und die Fahrt am nächsten Tag nach Calama.
Auf den ersten Blick lässt Ollagüe nicht erkennen, wie reich Chile ist. Die Ortschaft besteht aus zwei Häuserzeilen auf beiden Seiten der Bahnlinie. Sie umfasst unter anderem vier Gasthäuser und zwei Läden, aber auch eine Menge Ruinen. Die Ortschaft zählt heute noch 300 Einwohner, davon 2/3 Männer – einst waren es zehnmal mehr.
Der Bahnhof ist der Mittelpunkt der Ortschaft. Wie in Avaroa dient er heute nur noch dem Güterverkehr – aber überraschend viel davon. 3-4 Züge pro Tag und Richtung kommen vorbei – für lateinamerikanische Verhältnisse ist das immens.
In Ollagüe findet auch der Lokwechsel der Güterzüge statt. In dieser fremden Umgebung ein vertrautes Bild: eine Lokomotive von Stadler Rail. OK, vor allem der Schriftzug auf der Lokomotive, in der Schweiz sind ja vor allem die Thurbo-Produkte von Stadler bekannt…
Ein grosser Teil der Eisenbahninfrastruktur von Ollagüe liegt brach, gibt aber umso bessere Fotomotive ab.
…auch nach Sonnenuntergang.
Der nächste Tag beginnt mit einem ausgesprochen bescheidenen Frühstück im Gasthaus Inka Wasi. Schon das Abendessen war mengenmässig eher dürftig ausgefallen, ich blieb dann den ganzen Tag ziemlich hungrig.
Von Ollagüe aus führen verschiedene Gebirgsstrassen durch attraktive Vulkan- und Salzsee-Landschaften. Leider braucht man dazu ein eigenes Fahrzeug, und zwar mit Allrad-Antrieb.
Wer mit dem Bus nach Chile weiterreisen will, hat nur eine Option: nach Calama. Und zwar mit den Bussen, die von Bolivien her ankommen. Die Auskünfte, die ich dazu in Ollagüe erhielt, waren ausgesprochen inkonsistent: um 8:30, 9 Uhr, 10 Uhr oder 11 Uhr kämen diese durch den Zoll. Ich probierte es um 8:45 Uhr, dem denkbar dümmsten Zeitpunkt. Die Busse fuhren um 8:30 und 11 Uhr, und zwar jeweils mehrere. Grund dafür ist, dass die strengen chilenischen Grenzwächter offenbar Zeitslots haben: eine Stunde Individualverkehr, eine Stunde Lastwagen, eine Stunde Busse… man muss also deren Einsatzplan kennen, um ohne Wartezeit einen Bus zu erwischen.
Mitfahrgarantie besteht dennoch nicht: der Bus nach Calama, den ich nehmen wollte, war voll. Schliesslich fand man doch noch einen Platz für mich, doch ich musste mit der Chauffeur-Kabine (die in Südamerika vom restlichen Bus abgetrennt ist) „vorlieb“ nehmen.
Es war herrlich: perfekte Aussicht aus der Pole Position, dazu die Gesellschaft der freundlichen bolivianischen Chauffeure – so viel angenehmer als die Chilenen, denen ich bis dahin begegnet war.

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