Grenzen | Borders Reportage

Ein Langzeitprojekt: Zu Fuss entlang der französischen Grenze (aktueller Stand: Vallorbe)

Während der Pandemie entstand die Idee, die schweizerisch-französische Grenze von Basel bis Genf abzulaufen - ursprünglich wollte ich das in einem Winter schaffen. Daraus wurde nichts, doch gelegentlich kommt eine Etappe dazu, und mittleweile ist mehr als die Hälfte geschafft.

Etappe 12: L’Auberson – Vallorbe (36 km)

Die 11. Etappe der Wanderung begann traumhaft. Völlig allein bewegte ich mich auf dem Sentier des Bornes (Grenzstein-Weg), trotz strahlendem Sonnenschein war der Morgen frostig. Hier gibt es über viele Kilometer einen Wanderweg direkt auf der Grenze. Ausser ein paar Kühen auf der französischen Seite begegnete mir niemand, denn die Gegend ist ausgesprochen abgelegen. Informationstafeln erzählen die Geschichte dieser Grenzregion. Etwa, dass früher (also im 17. Jh.) Inspektionsgänge auf diesem Weg durchgeführt wurden, um die richtige Platzierung der Grenzsteine zu überwachen. Von beiden Seiten mussten stets zwei Generationen teilnehmen: die ältere um zu bezeugen, dass die Steine schon immer dort waren, die jüngere um zu lernen wo sie sind.

Diese Grenze ist fast durchgehend mit einer kniehohen Steinmauer «befestigt», die an vielen Stellen stark bemoost ist – ein Weg fast wie aus «Herr der Ringe». An einer Stelle ist in einem Sturm ein Baum auf die Mauer gefallen. Man muss kurz nach Frankreich gehen, um ihm auszuweichen. Gelegentlich ist die Mauer unterbrochen, um Platz für den Wanderweg zu machen. Ein kleines Wanderweg-Schild an einem Baum markiert dort die Grenze: Vous êtes en Suisse.

Weiter südlich gibt es eine noch speziellere Grenzmarkierung. Das Gebiet ist hier felsig und zerklüftet, dem exakten Grenzverlauf zu folgen ist nicht mehr möglich. Ein Wanderweg führt aber vom Bauernhof Noirvaux durch ein Tobel zur Grenze. Hier hat man darauf verzichtet, einen Grenzstein aufzustellen: die Grenzmarkierung ist in direkt den Felsen gehauen, zusammen mit den beiden Wappen (Frankreich und Waadt).

Das erste französische Dorf, auf das ich stiess, war Jougne. Sofort merkt man, dass man die Grenze überquert hat: das Ortszentrum ist markiert durch ein leuchtend weisses Kriegerdenkmal, flankiert von Kirche, Schule und Gemeidehaus. Leider ist das Restaurant La Couronne mittags geschlossen und ich musste mit dem bescheidneren La Poste vorlieb nehmen. Als Mittagsmenu gab es dort lediglich aufgeschnittenen Räucherschinken mit Bratkartoffeln und Salat. Immerhin war der minimalistische Dessert ausgezeichnet: je ein Stück Comté- und Morbier-Käse. Letzterer enthält Asche, ist ziemlich rezent und offensichtlich lokale Spezialität. Im U-Supermarkt kaufte ich mir gleich mehr davon. Da die Grenze hier durch unübersichtliches Gelände führt, gönnte ich mir einen Abstecher durch weitere französisch Dörfer: Les Hôpitaux-Neufs und Métabief. Ich freute mich, dass die Dörfer ziemlich belebt waren, mit geöffneten Geschäften und Restaurants: so untypisch für das ländliche Frankreich!

Es war schon drei Uhr, als ich in Métabief aufbrach zur Grenze auf dem Mont d’Or, einem markanten Felsrücken. Direkt getrödelt hatte ich bis dahin nicht, dennoch realisierte ich plötzlich, dass mir nur noch zwei Stunden Tageslicht verblieben: nicht gerade ideal für eine Berglandschaft mit solchen Abgründen. Doch das Abendlicht auf dem Mont d’Or war grossartig, die Landschaft mit den beigen Gräsern erinnerte an Irland oder Skandinavien – hätte man nicht den beleuchteten Alpenbogen im Hintergrund gesehen. Die Aussichten waren grandios. Und knapp rechtzeitig gelangte ich auch zu jener Stelle, dir mir am meisten Sorgen gemacht hatte: wo eine Schweizer Weide bis zum Abgrund führt, der gleichzeitig die Grenze ist – die Felsen gehören zu Frankreich. Die bange Vorstellung, über diese Grenze abzustürzen (tatsächlich gab es weiter oben Kreuze mit Namen am Felsen!), hatte mir Beine gemacht. Und so wurde es erst dunkel, als ich mich auf sicheren Waldwegen dem Bahnhof von Vallorbe näherte.

Grenzübergang auf dem Mont d’Or, im Hintergrund die SAC-Hütte Cabane du Mont d’Or

Etappe 11: Les Verrières – L’Auberson (25 km)

Start zur 11. Etappe der Grenzwanderung am verlassenen Grenzbahnhof von Les Verrières. An diesem Bahnhof halten keine Züge mehr und es scheint echt die Zeit stehengeblieben – als hätte man vor 20 Jahren Feierabend gemacht, die Tür abgeschlossen und seither alles so belassen. Sogar die alten Railtours-Prospekte liegen noch in der Schalterhalle auf. Auch die grossen, geschlossenen Gasthäuser im Ortszentrum zeugen von einer Vergangenheit, in der die Grenzlage noch mehr Prosperität verhiess. Ich stieg auf den Hügel südlich der Ortschaft und stiess auf den ersten Grenzübergang: einen entsprechend markierten Wander-Wegweiser.

Über einsame Hügel ging es weiter ins kleine Neuenburger Dorf La Côte-aux-Fées. Erstaunlicherweises waren zwei Restaurants geöffnet. Ich nutzte die Chance für eine Pause, der Rest der Wanderung versprach nämlich wieder viel Einsamkeit.

Das Dreiländereck Frankreich-Neuchâtel-Waadt betrachtete ich nur aus der Ferne. Einerseits ereilte mich ein heftiger Regenguss, der den Abstecher ins hohe Gras wenig reizvoll machte. Andererseits war der Grenzstein von Kühen umlagert, die ich ungern störte. Im Dreiländereck beginnt die Nummerierung der Grenzsteine wieder bei 1 und sie sehen ganz anders aus als in Neuchâtel. Einer der ersten waadtländischen Grenzsteine:

Ich hatte am Vorabend lange mit Freunden in Neuchâtel gefeiert, darum war schon nach 25 Kilometern Schluss dieser Etappe: es gab noch ein Bier mit Grenzblick, im Hintergrund der Grenzübergang L’Auberson – Les Fourgs.

Etappe 10: La Brévine – Les Verrières (31 km)

Hinter La Brévine führt die Grenze in ein namenloses Tal ohne Handyempfang. Einmal mehr war ich ganz allein in den Jurahügeln – was für ein Kontrast zum Berner Oberland! Bei La Côte du Cerf befindet sich der Wanderweg auf der Grenze. Die Wander-Wegweiser sind binational, mit weissen Schildern und Kilometerangaben für die französischen Wege und gelben Schildern und Zeitangaben für die Schweiz.

Gleich an der Grenze gab es früher ein Dorf namens Les Allemands. Im 1. Weltkrieg wurde der Name unbeliebt und man taufte das Dorf kurzerhand um in Les Alliés (die Alliierten). Im 2. Weltkrieg, unter deutscher Besatzung, hiess es nochmals kurz Les Allemands. Heute macht es einen friedlichen und verschlafenen Eindruck. Leider lud kein Restaurant zum Verweilen ein, nach einer kurzen Rast vor der Kirche füllte ich meine Wasserflaschen und peilte wieder die Grenze an.

Im Wald der nächste Wandergrenzübergang – erfreulicherweise mit kleinen Flaggen markiert. Die unteren Flaggen gehören nicht Polen und der Ukraine, sondern sind französische Wegmarkierungen.

Zum Ende der Etappe stiess ich auf den Grenzübergang Les Verrières (Schweiz) – Verrières-de-Joux (Frankreich), einer der verkehrsreichsten der Region: er verbindet Neuchâtel mit Pontarlier. Zum ersten Mal an diesem Tag stiess ich auf ein geöffnetes Geschäft, praktischerweise gab es auch eine Bushaltestelle.

Etappe 9: Col-des-Roches – La Brévine (20 km)

Die Etappe startete in Col-des-Roches, einem spannenden Weiler auf der Grenze (siehe Fotos in Etappe 8). Hier gibt es unterirdische Mühlen, die heute ein Museum sind. Zwischenzeitlich dienten sie auch als „Grenzschlachthaus“. Die Grenze führt westwärts zum nächsten Weiler Le Chauffaud, der durch die Grenze in einen grösseren französischen Teil und einen kleineren schweizerischen geteilt wird.

Toller kleiner Grenzübergang, irgendwo mitten im Gjätt zwischen Le Chauffaud und Les Cérneux-Péquignot. Das Dorf stiess erst 1814 zum Kanton Neuenburg und damit zur Schweiz. Damit gehört dieser Grenzabschnitt zu den jüngsten der Schweiz.
Wirtshausschild am nahe gelegenen Grenzübergang Le Gardot
Bei einem Bauernhof verläuft die Grenze zwischen Wohnhaus und Nebegebäude. Der Grenzstein ist mitten im Garten der Bewohner. Die Grundstückgrenzen entsprechen hier nicht den Staatsgrenzen.
Eher heruntergekommen wirkt das Zollgebäude des einstigen Grenzübergangs Chobert . Im 2. Weltkrieg spielte er eine wichtige Rolle, von hier aus reiste wiederholt ein britischer Spion ins deutsch besetzte Frankreich ein, um die deutschen Positionen zu dokumentieren.

Abschluss der 9. Etappe in La Brévine, dem kältesten Ort der Schweiz – aber nicht an diesem Sommertag. Auf dem Dorfplatz zeigt ein Display ständig die Temperatur sowie jene von Grono, dem wärmsten Ort, an.

Etappe 8: (La Chaux-de-Fonds) – Chez Bonaparte – Col-des-Roches (30 km)

Die 8. Etappe begann denkbar unattraktiv, aus der Warte des Grenztouristen zumindest. In der Doubs-Schlucht bildet – wenig überraschend – der Fluss Doubs die Grenze. Stunden über Stunden einfach nur Fluss, Felswände, Moos und Wald. Keinen einzigen Grenzübergang gibt es auf diesem Abschnitt, nicht einmal einen Grenzstein, auch Häuser oder Menschen: Fehlanzeige! Wer Waldeinsamkeit sucht, muss im Winter in die Doubs-Schlucht hinuntersteigen. Da ist keiner. Die Natur indes macht einiges wett, wenn man Flusswanderungen mag (ich nicht): bemooste, verwunschene Bäume hängen über den Fluss, über die hoch aufragenden Felswände prasseln Wasserfälle, weit oben an den Kreidefelsen ist sogar der Sonnenschein sichtbar. Noch ein Minuspunkt also, hinunter in die Doubs-Schlucht verirrt sich im Winter kein Sonnenstrahl, dafür steht die Sonne zu tief am Himmel.

Um acht Uhr war ich in La Chaux-de-Fonds aufgebrochen, im Winter fährt nämlich kein Bus hinunter zur Grenze. Passender Name meines heutigen Einstiegspunkts: Chez Bonaparte. Damit habe ich um zwei Kilometer beschissen, die letzte Etappe hatte ich in Maison-Monsieur beendet, aber hej: dafür bin ich die sechs Kilometer von La Chaux-de-Fonds in die Schlucht hinuntergelaufen, und mit zwei Kilometern weniger Langeweile konnte ich leben. Geschlagene fünf Stunden war ich unterwegs, bis ich endlich auf einen Grenzübergang stiess: Beim Saut du Doubs (Doubs-Wasserfall) gibt es eine Fussgängerbrücke hinüber nach Frankreich. Touristen können von Aussichtsplattformen beidseits der Grenze auf die tosenden Wassermassen starren, aber nicht heute, da war auch kaum jemand unterwegs.

Auch das ist eine Grenze: Blick von der schweizerischen Aussichtsplattform auf die französische Aussichtsplattform und den Wasserfall.

Gleich neben der Grenzbrücke fand ich einen herrlich sonnigen Picknickplatz für das längst überfällige Mittagessen. Der Lac des Brenets ist übrigens im Gegensatz zur Doubs-Schlucht ein ziemliches Highlight, wie er sich um die schroffen Felsen windet, bis man in den lieblichen Talkessel von Les Brenets (Schweiz) und Villers-le-Lac (Frankreich) vorstösst. Im Sommer kann man die Strecke per Schiff in 20 Minuten zurücklegen, im Winter wandert man eine Stunde. Auch die lokale Spezialität, Saucisse de Morteau, gibt es in der Absinth-Stube gleich beim Wasserfall leider nur im Sommer.

Ein noch grösseres Highlight ist der Col-des-Roches. In der Mitte steht ein steinerner Hahn, natürlich für die Französische Republik, aber auf schweizerischem Boden: Ein Denkmal für im Weltkrieg getötete Soldaten. Im Rücken des Hahns stürzt eine Felswand hinunter in die Schlucht, in die drei restlichen Richtungen führen Tunnels durch die Felsen: Rechts nach Les Brenets, links (und bereits auf französischem Boden) nach Villers-le-Lac und gegenüber des Güggels nach Le Locle. Doch damit nicht genug: Auch ein Bahntunnel durchquert die Felsbarriere, und selbst der Bach Le Bied, der in der Nähe von Le Locle entspringt, hat sich einen unterirdischen Weg durch den Karst gebahnt und heisst nach seiner Wiedergeburt auf der französischen Seite Rançonnière. Bemerkenswerterweise hat die lokale Bevölkerung in diesen unterirdischen Flusslauf unterirdische Mühlen eingebaut und über Jahrhunderte betrieben – der legendäre dänische Märchenautor Hans Christian Andersen war bei seinem Besuch vor 150 Jahren beeindruckt. Heute kann man sie im Rahmen touristischer Exkursionen besichtigen, aber nicht heute (immerhin muss man nicht bis im Sommer warten: Wiedereröffnung 2. Januar), und überhaupt freute ich mich auf die gute Zugsverbindung vom schmucken Bahnhof Le-Locle Col-des-Roches (das längste Bahnhofsschild der Schweiz?) mit dem pünktlichen (!) TER nach La Chaux-de-Fonds und heim nach Bern.

Der Bahnhof von Col-des-Roches ist einer der wenigen Bahnhöfe der Schweiz, der nur von der SNCF angefahren wird – und entsprechend keinen Taktfahrplan kennt.

Etappe 7: Goumois – La Maison-Monsieur (27 km)

Das Grenzdorf Goumois beidseits des Doubs präsentierte sich zum Start der 7. Etappe im allerbesten Licht. Der Doubs würde mich während der ganzen Etappe (und weit darüber hinaus) begleiten, darum erlaubte ich mir gleich einen Abstecher weg von der Grenze: Das Dorf Urtière hat mich auf Landkarten nämlich schon lange fasziniert. Kurios ist nicht nur sein Ortsname, sondern auch die Einwohnerzahl: 13. Urtière besteht aus einer Gruppe Bauernhöfe rund um eine nordisch anmutende Holzkirche in einem Waldhain – ein denkbar ruhiger und idyllischer Ort, der nach dem steilen Aufstieg von Goumois her zur ersten Pause einlud. Lieber hätte ich die Pause aber in der passend benannten Bar „Au Bout du Monde“ verbracht, die leider geschlossen war.

Ich war recht spontan in Bern aufgebrochen und hatte keinen Proviant dabei – zugegebenermassen etwas optimistisch für so eine abgelegene Gegend. Aber ich kam nicht zu kurz: Im französischen Dörflein Charmauvillers stiess ich auf eine Käserei, wo es 18 Monate gereiften Comte Vieux gab. Ein ausgezeichneters Snack, bevor es wieder hinunter in die Doubs-Schlucht ging. Dort erwartete mich am Grenzübergang La Goule das gleichnamige Restaurant, das mit Doubs-Forellen lockte. Einst schwammen sie im Fluss, nun im Butter – vorzüglich also. Nur hätte ich zwei davon bestellen sollen, denn die Beilage war wenig sättigend.

Nach vielen Kilometern im Flusstal stiess ich auf einen besonderen Grenzort: Biaufond. Hier treffen nicht nur die Schweiz und Frankreich aufeinander, sondern auch drei Kantone: Jura, Bern und Neuenburg. Also fast ein Vierländereck: Nur etwa 150 Meter ist ein leider umgestossener Grenzstein des Kantons Bern von Frankreich entfernt. Das idyllisch an einem kleinen Stausee gelegene Biaufond ist ein Ausflugsziel für Motorrad- und Autotouristen, was ziemlich mühsam ist. Der Wanderweg verläuft hier auf der sehr engen Fahrstrasse, sodass man sich nur mit einem Sprung in den Strassengraben retten kann, wenn die nächste Wagenkolonne heranbraust. Einmal verzichtete ich darauf und wurde prompt von einer erbosten Autofahrerin, die wegen mir verlangsamen musste, gescholten. Dass sie allein 80% der Fahrbahn brauchte und von mir erwartete, auch noch die restlichen 20% freizugeben, war ihr nicht aufgefallen…

Links Frankreich, rechts die Schweiz: Grenzbrücke über den Lac de Biaufond

Etappe 6: Sous les Roches – Goumois (32 km)

Am nächsten Tag ging es zuerst weiter durch einsame Gegenden, nun dem tief eingeschnittenen Flusstal des Doubs zu. Am frühen Morgen lief ich durch Montancy, Sitz der gleichnamigen Gemeinde, die sich aber nur durch ein Anschlagbrett bemerkbar macht. Man erfährt da, dass ein einziger Gottesdienst im Dorf geplant ist, am 9. Juli. Kirche, Gemeindehaus und Schulhaus befinden sich unten im Tal im Ortsteil Brémoncourt. Auf der anderen Seite der Grenze Montvoie – einst eine selbständige Gemeinde im Kanton Jura. Heute kommt Montvoie dem nahe, was man in Deutschland als «Wüstung» oder «abgegangenen Ort» bezeichnet: Zugänglich nur über einen ungepflasterten Waldweg, besteht das Dorf nur aus einem Ferienhaus und einem Bauernhof, auf dem ein alter Mann wohnt. Ansonsten sind auf der Landkarte viele Ruinen eingezeichnet. Wald hat das einstige Kulturland überwuchert. Gut möglich, dass die vor über hundert Jahren aufgelöste Gemeinde nur noch einen Einwohner zählt.

Der Talboden des Doubs-Tal dröhnte vom Lärm der Töffahrer, ganz allein steht die weiss leuchtende Kirche von La Motte. Der Grenzübergang – gleich wie zwischen Montancy und Montvoie – ist ungewöhnlich opulent, repräsentativ, auf der französischen Seite fast schon Barock. Welch Kontrast zur Abgeschiedenheit der Region. Heute dienen die Zollgebäude nur noch als Wohnhäuser, in Montvoie kann man im «Maison sans frontières» Ferien machen (falls man die Betreiber erreicht, was mir nicht gelungen ist). In Brémoncourt selbst weht stolz die Tricolore vom Rathaus, am Brunnen prangt eine Büste der Marianne. Trinkwasser hat er leider keines zu bieten.

Vom Doubs-Tal führt die Grenze über den Hügelrücken des Clos du Doubs. Der schweizerische Wanderweg macht hier einen beträchtlichen Umweg. Auf der Landkarte erspähte ich den perfekten Umweg, parallel zur Grenze: Ein Waldweg auf der französischen Seite, hinauf in den Weiler le Bail bei Burnevillers. Ich hätte es wissen sollen: Das Durchqueren französischer Wälder abseits offizieller Wanderwege endete bisher immer irgendwo im Dickicht. Tatsächlich war der Grenzwald keine Ausnahme: Der auf der Karte eingezeichnete Weg verlor sich, übrig blieb ein überwuchertes Bachbett voller Dornengestrüpp, Brennnesseln und umgestürzter Bäume. Ein Hirsch beobachtete amüsiert, wie ich mich Meter für Meter den Hang hochkämpfte. Der Effort machte durstig und mangels Trinkwasser-Brunnen war mein 1.5-Liter-Wasservorrat schnell aufgebraucht. Erst nach abermaligem Queren der Landesgrenze über den Mini-Grenzübergang Le Chaufour fand ich einen Bauernhof, wo ich mit dem Schlauch meine Wasservorräte endlich auffüllen durfte.

Le Chaufour – abgelegen und klein, und doch der einzige Land-Grenzübergang im Clos de Doubs.

Der Rest der Wanderung war ein Spaziergang, flach und anspruchslos wieder entlang des Doubs, der weiter flussaufwärts die Landesgrenze bildet. Genau genommen ist es nicht der Fluss, sondern das schweizerische Ufer: Der Fluss selbst und damit auch der gesamte Fischbestand gehören den Franzosen. Der Weg führte ins Dorf Goumois, das sich beidseits der Grenze in beiden Ländern befindet, sonst aber eindeutig als eine Ortschaft daherkommt, mit Kirche, Schule und Einkaufsmöglichkeit nur auf der französischen Seite. Wahrzeichen des Dorfs ist – auf der schweizerischen Seite – eine Felsformation, die wie ein Affe aussieht: Der Rocher du Singe. Ein schöner Schlusspunkt der anstrengenden Etappe.

In Goumois zeigt die französische Flagge am schweizerischen Flussufer an, dass der Fluss bereits zu Frankreich gehört. Im Dorf gibt es beidseits der Grenze überraschend viele Ausflugslokale.

Etappe 5: Damvant – Sous les Roches (14 km)

Damvant ist ab Bern verdammt mühsam zu erreichen. Wenn man am Morgen losfährt, ist man frühestens gegen elf Uhr dort. Wenn man am Vorabend anreist, geht die letzte Verbindung an Wochenenden um 14.12 Uhr. Darum habe ich diese Etappe der Grenzwanderung lange herausgeschoben. Viel zu lange. Als es dieses Wochenende endlich wieder losging, entschied ich mich für die 14.12-Uhr-Variante und eine Übernachtung irgendwo im Gjätt entlang der Grenze.

Schnell hatte mich das Ende-der-Schweiz-Feeling wieder in der hintersten Ajoie – trotz den fernen Klängen des Dorffests in Grandvillard. Ich nahmen den Weg entlang der historischen Grenzsteine, den ich vor anderthalb Jahren hier verlassen hatte, wieder auf – gesäumt von den Insignien des Bistums Basel, des Kantons Bern und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die sich hier auf den Grenzsteinen für die gleiche Buchstabenkombination wie die ehemalige Tschechoslowakei entschieden hat: CS (für Conféderation Suisse). Auf der französischen Seite dominieren bei fast allen Epochen die Lilien, nur auf den neuesten Steinen prangt ein schlichtes RF (für Roger Federer).

Im Bellevue in Roche d’Or gab es Jambon d’Os zum Abendessen. Rollschinkli also, die hiesige Spezialität. Die einzige Alternative auf der Speisekarte wären Schnecken gewesen – und eine Trockenwurst auf dem Brettli. Minimalistische Karte, aber das Lokal war ausgebucht an diesem Abend, die Wirtin bediente mich netterweise auf der windigen Terrasse. Roche d’Or war einst die kleinste Gemeinde des Juras mit zuletzt 38 Einwohnern, doch 2009 wurde sie Teil der anonymen Grossgemeinde Haute-Ajoie. Trotz der bescheidenen Einwohnerzahl gibt es neben dem Restaurant auch ein Hotel und eine Kirche.

Auf der Krete und über viele Kuhwiesen gelangte ich in der Abendsonne zur abgelegensten Unterkunft, in der ich bisher geschlafen habe. Die «Gite Sous les Roches» befindet sich in unmittelbarer Grenznähe unter einer bewaldeten Bergfluh, in der Nähe des kleinen französischen Dorfs Montancy (aber zu Bressaucourt JU gehörend). Die Gite besteht aus einem Bauernhof auf einer grossen Waldlichtung, fernab jeglicher Nachbarhäuser. Das Gefühl der Einsamkeit wurde durch den Umstand verstärkt, dass ich der einzige Gast war und auch die Inhaberin nicht hier übernachtete. Über fehlenden Komfort im frisch renovierten Bauernhaus konnte ich mich nicht beklagen und schnell fand ich den Schrank mit regionalen Bierspezialitäten. Erst als sich in der Nacht die Dusche selbständig machte und das Gebälk knarzte, fand ich es dann doch fast ein wenig unheimlich.

4. Etappe: Boncourt – Damvant (35 km)

An einem frostigen Wintermorgen setzte ich meine Wanderung fort – nach fast drei Stunden Anreise zum Grenzbahnhof Delle. Delle ist eine der grössten Ortschaften entlang der Grenze zwischen Basel und Genf – und dennoch machte das Städtchen einen toten Eindruck. Immerhin – wie immer in Frankreich – konnte ich den Wandertag mit Café & Croissant beginnen.

Kein Mensch in Sicht: Delle an einem Wintermorgen

Der Autobahngrenzübergang westlich von Boncourt (CH) und Delle (FR) war der letzte Gruss der Zivilisation. Dann führte der Grenzweg wieder durch die Einsamkeit, gelegentlich gesäumt von Bauernhöfen mit fantasievollen Namen wie „Le Paradis“ oder „Le Purgatoire“. Die Bewohner sind wohl ziemlich kauzig, denn ständig traf ich nun auf Verbote, „private“ Wege zu benutzen – wohlgemerkt solche, die auf den offiziellen Swisstopo-Landkarten eingezeichnet sind! Blöderweise führt hier die Grenze mitten durch das Gelände solcher Bauernhöfe, so dass ich in der Nähe von Fahy mit einem unfreundlichen Bauern zusammenstiess, der seinen Hund auf mich losliess und mich auf diese Art davon überzeugte, von meinem Grenzweg abzurücken zugunsten offizieller Wanderwege.

Böse Hunde bewachen die Grenz-Bauernhöfe mit ihren zahlreichen Privatsträsschen. Legal oder nicht, man hält sich besser daran.

Hinter Fahy – einem klassischen Grenzdorf mit Tankstellen, Schokoladengeschäften und vielen geschlossenen Restaurants – noch mehr Einsamkeit, diesmal im Wald. Ich stiess auf einen Wanderweg zur Besichtigung historischer Grenzsteine: Den Sentier Historique des Bornes de la Principauté de Montbéliard. Ein etwas pompöser Name für die blosse Fortsetzung des Grenzwegs, dem ich schon lange folgte. Immerhin war es nun wieder legal, und die Grenzsteine waren ein toller Anblick.

Ein paar Hügel weiter erreichte ich den verlassen wirkenden Grenzübergang von Damvant (CH) nach Villars-les-Blamont (FR) und musste nach knapp 35 Kilometern die Wanderung fürs erste unterbrechen, da aus dieser verlassenen Ecke der Haute-Ajoie bereits der letzte Bus mit Verbindungen nach Bern fuhr.

3. Etappe: Vendlincourt – Boncourt (29 km)

Als ich mit dem ersten Licht des Tages im kalten, tristen Vendlincourt loslatschte, spielte ich mit dem Gedanken, die Wanderung ein ordentliches Stück abzukürzen. Der Kanton Jura weist im Nordosten eine längliche Ausbuchtung auf, die man früher Entenschnabel nannte (auf Landkarten ist sie als Le Fahy verzeichnet). Im Entenschnabel gab es nur Wald, und er würde meine Strecke etwa 8 Kilometer länger machen. Eine Landkarte am Bahnhof Bonfol bezeichnete das Gebiet aber als „Km 0“, was meine Neugier weckte.

Der „Entenschnabel“ (auch als Largzipfel oder Le Fahy bekannt) auf einer Landkarte von 1915.

Wie sich herausstellte, bezieht sich diese Kilometerangabe auf die deutsch-französische Frontlinie im 1. Weltkrieg: Sie begann am Ende des Entenschnabels. Entsprechend gross war die Armeepräsenz zu beiden Seiten des Schnabels, so dass auch die neutrale Schweizer Armee dort aufrüstete. Kurzum, es gab eine Menge militärischer Erinnerungsstätten zu besichtigen, die mich nicht sonderlich interessierten, sogar einen 7.5 Kilometer langen „Km-0-Wanderweg“. Zu meiner grossen Freude stiess ich dort aber auf eine der jüngsten Grenzänderungen unserer Staatsgrenze. An seinem östlichen Ende wird der Entenschnabel vom Bächlein Larg begrenzt. Dieser änderte mit der Zeit seinen Lauf, so dass einer der Grenzsteine plötzlich auf der französischen Seite des Baches lag. 1951 setzten sich die beiden Länder zusammen und beschlossen, diesen unschönen Umstand aus der Welt zu schaffen: Die Schweiz trat das Stück Land auf der anderen Seite des Baches offiziell an Frankreich ab, neu verläuft die Grenze in der Mitte des Bachs.

Das Bild zeigt das Ausmass des schweizerischen Gebietsverlusts: Das Ufergebiet rechts des Grenzsteins bis hin zur Bachmitte fiel 1951 ohne Gegenleistung an Frankreich. Vor etwa 10 Jahren baute die Schweiz diese Fussgängerbrücke über den Larg-Bach, deren Brückenkopf auf der französischen Seite fast den ganzen französischen Gebietsgewinn einnimmt. Fair enough.

Die Wanderung auf der Grenzlinie verlief auf sumpfigen Waldpfaden und quer über weite Äcker. Der Nebel wurde immer dichter, kein Geräusch war hörbar und ausser drei Rehen sah ich während Stunden keine lebendige Seele. Die Grenzhügel waren so abgelegen, dass das Handy keinen Empfang hatte. Ein bisschen beklemmend fühlte sich das einsame Wandern an, und auch ein bisschen abenteuerlich.

In einer Ackerfurche in Richtung Grenzstein: Wintereinsamkeit auf der schweizerisch-französischen Grenze.

Gegen Mittag stiess ich auf die Borne des Trois Puissances (Dreiländerstein): Eine Ansammlung von Grenzsteinen, welche das alte Dreiländereck von Frankreich, dem deutschen Reich und der Schweiz markiert. Früher war dies ein beliebtes Ausflugsziel – vielleicht auch darum, weil die Schweiz wohl in keinem anderen Kontext als „puissance“ (Macht) bezeichnet wird. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel das Elsass an Frankreich und der Ort verlor seine Bedeutung. Vor einigen Jahren entstand hier aber ein Ausflugshäuschen mit windgeschützten Picknicktischen, das ich an diesem kalten Samstag schätzte.

Das „D“ für „Deutsches Reich“ ist am Dreiländerstein auch mehr als 100 Jahre nach der Grenzverschiebung noch sichtbar.

Über Hügel, Äcker und ein prekär wackliges Brücklein hinter dem Grenzübergang von Lugnez gelangte ich in das Industriedorf Boncourt, wo ich meine Wanderung einstweilen unterbrach und mit dem Zug zurück nach Bern fuhr.

2. Etappe: Burg im Leimental – Vendlincourt (33 km)

Meine zweite Etappe führte von der abgelegen Baselländer Gemeinde Burg im Leimental nach Vendlincourt in der Ajoie – eine Strecke von 33 Kilometern Staatsgrenze. Man kann sie an einem Wintertag gut bewältigen, wenn man um 8 Uhr losläuft, denn aufgrund der kalten Temperaturen hat man ohnehin nicht viel Lust auf ausgedehnte Pausen.

Etwa ein Drittel dieser Strecke führte mich entlang der Route internationale im Lützeltal. Die internationale Strasse ist eine zu Unrecht ziemlich unbekannte geografische Anomalie der Schweizer Landesgrenze. Zwischen dem Weiler Klösterli im Kanton Solothurn und dem Weiler Lucelle verläuft die Strasse entlang der Landesgrenze und überquert diese fünf- oder sechsmal, befindet mehrheitlich aber auf der französischen Seite. Für abgelegene Juradörfer wie Ederswiler JU oder Roggenburg BL ist sie die schnellste Verbindung mit der Aussenwelt, aber auch der schnellste Weg aus der Ajoie nach Basel.

Hinter Klösterli verliess ich also die Schweiz, zu Fuss auf der Überlandstrasse. Normalerweise ist das beim Wandern nicht so toll, aber auf der Route internationale war es kein grösseres Problem: das Verkehrsaufkommen hielt sich in engen Grenzen. Schnell verlor ich die letzte Siedlung aus den Augen und fand mich in der Einsamkeit dieses fast unbesiedelten Tals wieder. Hin und wieder fand sich ein Bauernhof oder eine alte Mühle am Flussufer. Nicht selten musste man den Fluss (und damit die Staatsgrenze) überqueren, um zu ihnen zu gelangen. Der Hof Neuhaus in der Gemeinde Roggenburg BL etwa ist nur über französisches Territorium erreichbar, auch seine Postauto-Haltestelle und die Briefkästen befinden sich am französischen Flussufer. Das schweizerische Handynetz funkt nicht bis hierhin und auch das französische an vielen Stellen nicht.

Überall wo die Route internationale die Grenze überquert, weisen bescheidene Schilder darauf hin – allerdings keine Zollämter oder anderen üblichen Anzeichen einer internationalen Grenze.

2017 wurde dies einem verunfallten Velofahrer zum Verhängnis, der vergeblich versuchte, über die schweizerische Notrufnummer 144 Hilfe zu verständigen. Erst nach 55 Minuten konnte ihn ein Anwohner aus der misslichen Lage befreien. Das jurassische Verkehrsamt sah sich deshalb veranlasst, die Bevölkerung daran zu erinnern, dass die Strasse zu Frankreich gehöre und man deshalb die französische Notrufnummer 112 benutzen solle. Während der ersten Pandemiewelle ab März 2021 wurde die Grenzlage erneut zum Ärgernis: Die französischen Sicherheitskräfte setzten das damals geltende Einreiseverbot derart strikt um, dass sie reihenweise saftige Bussen verteilten an die Einwohner von Ederswiler und Roggenburg, die auf ihrem gewohnten Weg nach Basel pendelten.

Dabei gilt eigentlich nach einem schweizerisch-französischen Staatsvertrag von 1937 auf der Strecke „Verkehrsfreiheit“ – ein wunderliches Wort, das in dem Vertrag leider nicht genauer definiert ist. Vielleicht haben sich die französischen Beamten deshalb 2021 erlaubt, Bussen zu erteilen – vielleicht war es auch widerrechtlich. Verhältnismässig war es mit Sicherheit nicht. Dafür definiert der Vertrag, dass uniformierte und bewaffnete Zöllner beider Länder die Strassenabschnitte auf der jeweils anderen Seite der Grenze betreten durften. Armeeangehörige hingegen nicht: Ein Schild am Ortsausgang von Kleinlützel weist darauf hin, dass die Durchfahrt in Militäruniform nicht erlaubt ist. Durchaus relevant, denn in der Ajoie befindet sich ja mit Bure eine grössere Kaserne.

In Neumühle, das zum Kanton Basel-Landschaft gehört, liegt das Ortsschild auf der französischen Seite des Flusses. Interessanterweise handelt es sich um ein normales schweizerisches Ortsschild, aber der Ortsname ist ins Französische übersetzt: Moulin Neuf. Gleich dahinter verkündet die Postauto-Haltestelle den deutschen Namen.

Am Ende der Route internationale erreichte ich das geteilte Dorf Lucelle, früher auf Deutsch Gross-Lützel genannt. Ein irreführender Name, denn die französische Gemeinde Lucelle zählt gerade mal 34 Einwohner. Die Bevölkerungszahl der schweizerischen Seite lässt sich nicht eruieren, da das Ortsgebiet weiter aufgeteilt ist auf die Gemeinden La Baroche und Bourrignon, aber sehr viel mehr können es auch da nicht sein. Der Grenzverlauf innerhalb des Dorfs Lucelle ist derart unpraktisch gewählt, dass man praktisch bei jedem Gang die Staatsgrenze überqueren muss. Wer von Porrentruy her kommend nach Basel durchfährt, überquert die Grenze während fünf Minuten Fahrt dreimal. Früher war Lucelle als bedeutendes Kloster bekannt, dann als Industriestandort: Die ersten Hochöfen der Region gingen hier in Betrieb. Doch beim Eisenbahnbau wurde Lucelle links liegengelassen, was sich als erheblicher Konkurrenznachteil herausstellte, und schon 1882 erloschen die Hochöfen.

Das Motel Noirval im schweizerischen Teil von Lucelle, im Hintergrund das Zollamt. Die Strasse links führt nach Bourrignon JU, rechts in die Ajoie nach Porrentruy JU (über den französischen Teil von Lucelle) und auch in meinem Rücken befindet sich die Grenze zum französischen Teil von Lucelle, allerdings an der Strasse nach Kleinlützel und Basel.

Ich wollte in Lucelle übernachten und die Grenzlage als Inspiration für die Arbeit an meinem Buch nutzen. Direkt an der Grenze liegt das ehemalige Klostergebäude, und darin befindet sich das „Centre Européen des Rencontres“, eine Herberge. Doch ich erreichte sie telefonisch nicht. Als ich auf meiner Wanderung dort ankam, verkündete ein Zettel, das Etablissement sei bis auf weiteres geschlossen. Ein paar Hundert Meter weiter, auf der Schweizer Seite der Grenze, versprüht das Motel Noirval postsozialistischen Charme (wenn wir hier Sozialismus gehabt hätten, versteht sich). Leider waren auch hier die Zimmer wegen Renovation bis auf weiteres geschlossen. Sehr schade – das Motel befindet sich an einer Tankstelle gleich gegenüber dem (ebenfalls geschlossenen) Zollamt, hier hätte ich mich pudelwohl gefühlt.

So aber lief ich notgedrungen weiter bis in die abgelegene Ajoie-Gemeinde Vendlincourt und erfreute mich daran, dass der Wanderweg fast durchgehend auf der Grenzlinie verlief, immer wieder aufgewertet mit bis zu 300 Jahre alten Grenzsteinen, die eine Menge verschiedener Wappen trugen: Elsass, Bern, Frankreich, Schweiz, irgendeine Lilie… Es lag kein Schnee, aber die verfaulenden Blätter machten den Weg an vielen Stellen rutschig und etwas schwer passierbar – insbesondere an den Stellen, die auch bei den Bikern beliebt waren. An einem einsamen Hof auf einer Jurahöhe stiess ich auf eine Gedenktafel, die daran erinnerte, dass von hier aus im 2. Weltkrieg der französische General Henri Giraud in die neutrale Schweiz geflohen war. Möglicherweise war dies nicht entscheidend für den Ausgang des Weltkriegs – aber ein kleines Puzzlestück dieser Geschichte wurde in diesem einsamen Grenzland geschrieben.

1. Etappe: Burg im Leimental – Basel (ca. 30 km)

Im Sundgauer Dörflein Biederthal verläuft die Grenze zur Schweiz gleich am Ortsrand

Das Leimental ist ein ausgesprochen grenzreiches Tal. Sieben Mal in Folge führte der Weg ins nächste Dorf über eine Landesgrenze: Burg in der Schweiz, Biederthal in Frankreich, Rodersdorf in der Schweiz, Leymen in Frankreich, Biel-Benken in der Schweiz, Neuwiller in Frankreich, Schönenbuch in der Schweiz (die letzten beiden Dörfer gehörten zugegebenermassen nicht mehr zum Leimental). Auf Schweizer Seite wechselten sich zudem die Kantone Baselland und Solothurn ab.

Am Bahnhof von Leymen im Elsass hält die Tramlinie 10 von Basel nach Rodersdorf.

Auch der öffentliche Verkehr ist von diesem Umstand betroffen. Die Basler Tramlinie 10 führt vom Bahnhof Basel in den Kanton Baselland und am Schluss über das französische Leymen nach Rodersdorf im Kanton Solothurn. Von dort aus kann man weiter mit der Buslinie 62 via Biederthal in Frankreich nach Burg im Leimental im Kanton Baselland fahren – meine morgige Anreise an den Startpunkt der Winterwanderung.

Highlight der Wanderung im Leimental war die riesige Burgruine Landskron, die auf einem Hügel direkt an der Grenze thront und einen Ausblick in drei Länder und drei Kantone bietet.

Das Projekt:

Die schweizerisch-französische Grenze ist zum Grenzwandern perfekt geeignet. Fast überall verläuft ein Wanderweg auf der Grenze selbst oder in unmittelbarer Nähe. Die Grenze ist 573 Kilometer lang, aber so ambitioniert bin ich diesmal nicht: Ein Teil verläuft im Genfersee und im Hochgebirge – darauf verzichte ich gern. Es ist mir ohnehin nicht klar, wie weit in den Süden ich überhaupt vorstossen werde. Bis zum Grenzhotel in La Cure wäre schön.

Denn ich habe nicht vor, wie im Sommer auf dem Weg an den Atlantik die gesamte Strecke am Stück zurückzulegen, sondern in Etappen von jeweils einem oder zwei Tagen: Immer, wenn ich gerade Zeit habe und mich die Reiselust packt. So habe ich auch in den düsteren, home office-lastigen Wintertagen immer einen attraktiven Grenz-Reisevorrat.

Denn die Grenze bietet einige Highlights. Etwa die «Route Internationale», eine von der Schweiz und Frankreich gemeinsam und ohne Zollkontrollen genutzte Landstrasse, die sich im Lützeltal mehrfach über die Grenze schlängelt. Oder die «Borne des Trois Puissances», das Denkmal an der Stelle, wo einst das Deutsche Reich, Frankreich und die Schweiz aufeinandertrafen. Oder Goumois, das geteilte Dorf, oder der schroffe Col des Roches hinter Le Locle.

Meine Bucket List entlang der Schweizer Grenzen: Die roten Punkte habe ich noch nicht bereist.

3 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar