Anmerkung: Diesen Bericht habe ich schon vor einigen Wochen geschrieben, auf den Nördlichen Marianen. Die Publikation erfolgt nun verspätet aus Bern.
Natürlich ist der komplette Satz an politischen Institutionen den meisten Orten nicht vorhanden. Nauru beispielsweise hat die höheren Gerichtsinstanzen an Australien übertragen – es gäbe nicht genügend kompetente Richter unter den 11.000 Einheimischen. Australien revanchiert sich dafür mit den Asylsuchenden, die es nach Nauru ausgelagert hat. In Nauru erlebte ich die beste aller Parlamentsbesichtigungen – mehr dazu weiter unten.
Nördliche Marianen
Gestern war ich im Parlament der Nördlichen Marianen und es hat sich wieder mal gelohnt. Auf der Suche fuhr ich zuerst zweimal daran vorbei: Das einstöckige Gebäude im Weiler Capitol Hill an der höchsten Stelle der Insel Saipan ist derart unauffällig. Die „Lehislatura“ hat zwei Kammern, und in diesem Fall handelt es sich tatsächlich um Kammern: Stickige kleine Räume in der Mitte des Gebäudes, ohne Fenster oder natürliches Licht. Wie in den USA gibt es ein Repräsentantenhaus und einen Senat.
Lehislatura, das Parlament der Nördlichen Marianen
Parlamente in kleinen Pazifikstaaten sind sich keine Touristen gewohnt. Sie bieten darum keine Sightseeing-Touren an wie in den USA oder der Schweiz. Darum trifft man in der Regel auf zufällig anwesende Offizielle oder Wachleute. Weil aber die Menschen in Ozeanien sehr freundlich sind, haben sie meistens ein offenes Ohr haben für das Anliegen, das Parlament anzuschauen: Soviel Transparenz gibt es auch hier. Und so war es auch auf den Nördlichen Marianen. Ein freundlicher Herr nahm sich meiner an und ich sah den grössten Teil des Gebäudes bereits bei seinem Versuch, einen Schlüssel für das Repräsentantenhaus aufzutreiben. Es gelangt nicht. Ein Schild wies darauf hin, dass Session sei, aber das war nicht das Problem: Sie fand offenbar in einem anderen Raum statt, vielleicht einem mit Fenstern.
Im Senat hatte ich mehr Glück. Im muffigen Zimmer waren lange Pulte im Dreieck angeordnet, dahinter die nationalen Symbole der Nördlichen Marianen und der USA, zu denen die Nördlichen Marianen ein bisschen gehören. Die drei Seiten des Dreiecks stehen für die drei besiedelten Inseln: Saipan, Tinian und Rota. Sie haben je drei Senatoren. Neun Abgeordnete – ich hatte noch nie von einer kleineren Legislative gehört.
Dann traf ich auf den Sergeanten des Justizdepartements, offenbar ein hohes Tier auf dieser Insel. Er sah sich selbst nicht als Polizist, im Gegenteil. Der Sergeant versuchte mich zu überreden, ihm aus der Schweiz Hanfsamen zu schicken. Sie hätten gerade Cannabis legalisiert und bräuchten jetzt Samen für den Anbau. Ich benötigte etwas Geduld, dem hohen Justizbeamten klar zu machen, dass in der Schweiz der Versand weiterhin illegal ist, auch wenn die Marianen den Empfang und Konsum legalisiert hatten.
Senatssaal des Commonwealths der Nördlichen Marianen
Auch in anderen Ländern waren die Parlamentsbesuche originell, auch wenn sie mir nicht immer gelangen. Hier eine Bildergalerie.
Kiribati
In Kiribati war fast niemand auf dem grossen Parlamentsgelände, das im Stil einer Maneaba gehalten ist, dem traditionellen Versammlungshaus der Dorfgemeinschaft. Die freundliche Dame am Empfang wies aber die Sicherheitsleute an, für uns (ich reiste zusammen mit meinem Bruder) den Parlamentssaal zu öffnen. Wir waren dort ganz allein; auf den Pulten lagen völlig offen und zugänglich die Mappen mit den Parlamentsgeschäften. Wir missbrauchten die Situation aber nur dazu, ein paar lustige Fotos auf dem Sitz des Parlamentsvorsitzenden zu machen.
Maneaba ni Maungatabu, das Parlament von Kiribati
Guam
Das US-Aussengebiet Guam hat ein unscheinbares, einstöckiges Kongressgebäude mit nur einer Kammer; das letzte hatte ein Taifun weggeweht und nur eine Tür war stehengeblieben, und da steht sie auch heute noch. Speziell in diesem Parlament ist, dass alle wichtigen Ämter in der Hand von Frauen sind, die Männer stellen nur fünf Abgeordnete – Hähne im Korb! Zwei Mitarbeiter empfingen uns auch hier überaus freundlich und animierten uns sogar, Fotos vom Sitz des Parlamentsvorsitzenden aus zu machen. Und sie beklagten sich über den Status als US-Kolonie – viele Guamesen wären lieber unabhängig. Leider sind sie im eigenen Land in der Minderheit.
Congress, das Parlament von Guam
Marshall-Inseln
Auf den Marshall-Inseln war das Parlamentsgebäude leider im Umbau und nicht zugänglich. Von aussen machte es keinen einladenden Eindruck.
Nitijeļā, das Parlament der Marshall-Inseln
Republik Nauru
Die bizarrste Parlamentsbesichtigung hatte ich in Nauru. Als ich in das bescheidene Vorzimmer eintrat, war ich dort ganz allein. Nach einer Weile erschien eine Sekretärin, musterte mich ein bisschen argwöhnisch und fragte, was ich hier suche und wo denn meine Reisegruppe sei. Reisegruppe – in Nauru! Was hat sie sich dabei gedacht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das je vorgekommen ist. Jedenfalls konnte ich sie davon überzeugen, dass auch als Einzelperson meine Reise touristischer Natur war, worauf sie sich zu einer kurzen Tour bereit erklärte.
Diese drehte sich primär um den Parliamentary Mace – eine Art mit Juwelen verzierter Knüppel, ohne dessen Anwesenheit auf dem Pult des Parlamentsvorsitzenden die Sitzung ungültig ist; eine der vielen schrulligen Eigenarten des Westminster-Systems. Australien hatte Nauru einen solchen prunkvollen Knüppel gestiftet, doch schon in den 1970er Jahren kam er abhanden. Es ist schon recht erstaunlich, dass es jemandem gelungen sein soll, dieses doch recht auffällige Ding auf der kleinen Insel verschwinden zu lassen. In der Not besannen sich die Nauruer auf traditionelle Werte (was definitiv nicht ihre Stärke ist, wenn man sich die Insel anschaut) und bastelten einen neuen mace, diesmal aus Holz, ohne Edelsteine und mit lokalen Ornamenten, was ihnen auch ganz gut gelang und sicher repräsentativer war für die Inselrepublik als die Westminster-Imitation. 1997 sponserte Australien aber eine Replika des ursprünglichen Mace, die seither ihren Dienst tut. Den Interims-Mace wollte offensichtlich niemand mehr klauen, er fristet nun ein liebloses Dasein in der Ecke neben dem Kopierer im Vorzimmer.
Das Parlament selbst zählt nur 19 Sitze und ist angeblich das modernste Gebäude der Insel. Speziell modern wirkt es zwar nicht, aber immerhin ermöglicht es die Live-Übertragung aller Parlamentssitzungen, die den wesentlichen Inhalt des hiesigen Fernsehprogramms ausmachen. Zuvor hatte das Parlament offenbar in einer Art Schulzimmer getagt.
Parlamentssaal in Nauru
Salomonen-Inseln
Sehr viel professioneller ging es auf den Salomonen zu. Hier musste ich sogar Eintritt zahlen! Es lohnte sich aber, denn das Parlament ist ein architektonisches Highlight: Eine mächtige Betonrondelle, die sich stilistisch bestens in den afrikanischen Brutalismus der 1960er und 1970er Jahre einreihen würde. Dies passt gut zu den Salomonen, die sich wie kein kein anderes Land Ozeaniens wie Afrika anfühlen. Bei näherer Betrachtung hatte das Gebäude aber durchaus auch Qualitäten wie die traditionellen Ornamente, die in den Beton eingelassen sind. Und die Lage ist unschlagbar: Es thront auf einem Hügel mit Sicht auf Honiara, seinen Hafen und – bei gutem Wetter – die feindselige Insel Malaita.
Das Parlament der Salomonen-Inseln
Königreich Tonga
In Tonga erfüllte ich leider die Erfordernisse für den Besuch des Parlaments nicht. Man muss diesen nämlich im Voraus anmelden und ist dann gehalten, in traditioneller Kleidung zu erscheinen. Die traditionelle Kleidung Tongas besteht aus groben Matten, was an den umfangreichen Einheimischen (in ihren Augen) gut aussehen mag, aber sicher nicht an mir schmächtigem Mitteleuropäer. Ausserdem hatte ich keine solchen Matten und mieten kann man sie auch nicht. Ich konnte das Parlament aber von aussen anschauen, es ist ein unscheinbarer Holzschopf, der nicht mal angeschrieben ist. Einzig das Wappen über dem Eingang verleiht ihm einen Anflug von offiziellem Charakter.
Fale Alea, das Parlament des Königreichs Tonga
Tuvalu
Tuvalu hat gar kein Parlamentsgebäude. Gleich hinter dem Flughafenterminal auf dem Hauptatoll Funafuti befindet sich das Regierungsgebäude, eines von etwa fünf mehrstöckigen Gebäuden des Landes. Ich fragte einen Offiziellen nach dem Parlamentsgebäude und seine Antwort war: «Das gibt es nicht. Die Abgeordneten treffen sich mal hier, mal dort – am häufigsten in der Maneapa neben dem Flughafenterminal.» Wie in Kiribati ist die Maneapa der Versammlungsraum der Dorfgemeinschaft. So eine stand auch neben dem Schopf, der als Flughafenterminal diente. Eine Maneapa hat aber keine Wände und Türen, und ausser zwei schlafenden Frauen war niemand dort; und zu sehen gab es auch nicht viel, das Interieur bestand lediglich aus einem Betonboden und Säulen.
Die Machtzentrale Tuvalus: Links die Flughafen-Maneapa, in der die Parlamentssitzungen meist stattfinden, rechts das Flughafen-Terminal und dahinter der Regierungs- und Verwaltungssitz.
Samoa
In Samoa war ein neues Parlamentsgebäude im Bau. Reste des alten Gebäudes standen noch, und sie sahen beschämend und erbärmlich aus.
Fono, das Parlament Samoas (bzw. was 2017 davon übrig war)
Vanuatu
In Vanuatu habe ich keinen Versuch unternommen, auf das Parlamentsgelände zu gelangen; ich habe es mir nur von aussen angesehen. Vielmehr peilte ich ein nahe gelegenes Nakamal an, also eine Kava-Bar. Kava ist ein leicht berauschendes Getränk auf Basis der Wurzel des Pfefferstrauchs, das durch Zugabe des Speichels von Knaben fermentiert wird – das Suchtmittel der Wahl im Pazifik, und Vanuatu soll den stärksten Kava haben. Im Parlaments-Nakamal macht man die wirkliche Politik. Vielleicht ist es deshalb so gut versteckt, ich habe es leider nicht gefunden.
Das Parlamentsgebäude von Vanuatu
Palau
Palau hat sich 2006 eine pompöse neue Hauptstadt gebaut: Ngerulmud. Die «Stadt» liegt im Bundesstaat Melekeok, der rund 300 Einwohner hat, hat selbst aber gar keine Einwohner. Sie besteht nämlich nur auf jeweils einem Gebäude für Parlament, Regierung und Justiz. Es gibt keine Hotels, Restaurants oder andere Annehmlichkeiten. Diese befinden sich alle in der alten Hauptstadt Koror, die nur 20 Kilometer entfernt ist und von der aus alle Parlamentarier und Beamten ständig pendeln. Im Parlament in Ngerulmud war leider gerade Session, dennoch lohnte sich der Besuch des Eingangsbereich und überhaupt des absurden Baukomplexes.
Olbiil Era Kelulau, das Parlament von Palau
Föderierte Staaten von Mikronesien (FSM)
Die FSM sind ein Bund von vier Staaten mit weit reichender Unabhängigkeit. Ihr Parlament befindet sich im Staat Pohnpei, auf der gleichnamigen Insel, welche die grösste Mikronesiens ist. Die Hauptstadt von Pohnpei ist Kolonia, Hauptstadt der FSM hingegen das in den 1980er Jahren erbaute Palikir. Wie Ngerulmud besteht Palikir ausschliesslich aus Verwaltungsgebäuden, die prinzipiell wohl gut zugänglich sind – wenn man nicht gerade an einem späten Freitagnachmittag erscheint. Immerhin hat das Parlamentsgebäude auf drei Seiten Fensterfronten und man sieht von aussen gut hinein.
Blick in den Kongress, das Parlament der FSM, mit der FSM-Flagge in der Mitte und jenen der vier Bundesstaaten links und rechts davon: Yap, Chuuk, Pohnpei und Kosrae (von links nach rechts).