Grenzen | Borders

Mal ein Grenzübertritt, der so richtig Kacke war

Ich berichte hier gern und mit Begeisterung von grossartigen Entdeckungen an den Grenzen dieser Welt. Doch auch ich erlebe Grenztage, die nur eklig sind. Und damit meine ich nicht mühsame, aber abenteuerliche Grenzübertritte wie das legendäre Rosso (Senegal/Mauretanien), oder nicht einmal die Abzockerfahrt auf dem südostasiatischen Gringo-Trail. Darum hier ein kleiner Rant, mehr zu meiner Psychohygiene, natürlich sind es immer noch Luxusprobleme.

Vielleicht habe ich mir zuviel vorgenommen: Heimliches Grenz-Highlight Südamerikas ist das Dreiländereck Kolumbien-Brasilien-Peru mitten im Amazonas, erreichbar nur per Schiff oder Flugzeug. Ich buchte also von Lima aus einen Flug dorthin, konkret in die kolumbianische Grenzstadt Leticia. Dazu muss man in der Hauptstadt Bogotá umsteigen, was ein etwas idiotisches Routing ergibt, bei dem man zweimal den Äquator überfliegt.

Man könnte auch nach Iquitos fliegen und von dort über Nacht mit dem Tragflügelboot ins Dreiländereck reisen. Aber a) sind Billetts schwer zu kriegen, wenn man nicht schon in Iquitos ist, b) gab es dieses Jahr und einmal pro Monat einen Piratenangriff auf Schiffe dieser Strecke und c) wären die Klimaanlagen dieser Boote meiner Gesundheit wohl noch weniger zuträglich gewesen als der Flug, wenn man so die Google-Reviews liest…

Jedenfalls trat ich die Reise schon angeschlagen an – leicht erkältet, übermüdet und übernächtigt. Hotelzimmer in Peru sind unglaublich schlecht isoliert. Hotelgäste in Peru sind unglaublich laut, besonders an Wochenenden und Feiertagen. Und es waren gerade gefühlt zwei Wochen Feiertage wegen des Unabhängigkeitstags (eigentlich am 28. Juli). Ergänzt mit dem Fitnesscenter im Parterre meines Hotels, das morgens ab 7 Uhr die Strasse mit Discomusik beschallte.

Zudem ist in Lima gerade ein neuer Flughafen eröffnet worden, der dummerweise gleich heisst wie der alte und auch am gleichen Ort ist, aber das Terminal über eine komplett andere Zufahrtsstrasse zugänglich. Medien berichteten über lange Abfertigungszeiten. Nun meinte die Airlinie, ich müsse drei Stunden vor Abflug dort sein (dies eingecheckt und mit Handgepäck!), American Airlines nannte vier Stunden und der Flughafenbetreiber sogar fünf Stunden. Fünf Stunden!! Wer bitte ist um vier Uhr am Flughafen, wenn er/sie um neun Uhr fliegt?!

Eingang zum neuen Jorge Chávez-Flughafen in Lima.

Ich war dann zweieinhalb Stunden vor Abflug dort, was immer noch massiv zu früh war. In nur 10 Minuten hatte ich alle effizienten Kontrollen durchlaufen, die Grenzkontrolle enttäuschenderweise ohne Stempel – jetzt beginnt auch Peru schon mit dieser Saumode! Dann bekam ich eine WhatsApp-Nachricht der Airline, wonach sich der Flug um 40 Minuten verspäte. Sehr viel Zeit totzuschlagen also, ich freute mich auf den Flug und darauf, endlich etwas Schlaf nachzuholen.

Abwarten und Coca-Tee trinken am Flughafen. Nicht mal auf Kaphiy hatte ich Lust.

Mitnichten. Neben mir sass ein herziges Mädchen, das viele Fragen stellte und ständig aus dem Fenster gucken wollte. Dazu stiess sie mich alle paar Minuten an, was mich trotz optimaler Vorbereitung (Echo der Zeit-Podcasts) vom Schlaf abhielt, während die Mutter auf dem Gangsitz entspannt schlummerte. Mit der Zeit wurde es sehr kalt, und bald war der fehlende Schlaf nicht mehr das grösste Problem, sondern dass ich zu frösteln begann. Leider erst kurz vor der Landung konnte ich mich überwinden, die Mutter zu wecken, um den Schlafsack aus meinem Gepäck zu holen, um den sich anbahnenden Schüttelfrost abzuwenden.

Kurz darauf das gegenteilige Problem (ja, immer etwas zu motzen, wie angekündigt): Der Flughafenbus war proppenvoll und heiss. Lange hatten wir im Flugzeug ausharren müssen, bis er überhaupt auftauchte – immer besonders ärgerlich, wenn der Flughafeneingang quasi vor der Nase liegt. Als er endlich da war, blieb er sehr lange stehen. Ewig ging es, bis endlich alle Passagiere eingestiegen waren. Als nächstes umkurvte der Bus sämtliche Terminals und Gates des Flughafens El Dorado im Zeitlupentempo. Als sich nach 40 Minuten Niedergaren im Stehen schliesslich das Ende der Fahrt abzeichnete, machte mein Kreislauf nicht mehr mit. Die ganze Welt drehte sich plötzlich und ich konnte nur noch knapp der Security ihren Sitz abspenstig machen, sonst wäre ich ohnmächtig geworden.

Was wiederum die Security alarmierte. Mich auch, zugegebenermassen, also stürzte ich den Liter Wasser runter, den ich dabeihatte, und stopfte fast einen ganzen Pack Gummibärchen in mich, denn der Zucker- und Salzmangel machte sich arg bemerkbar nach dem dreistündigen Flug ohne Verpflegungsmöglichkeit ausser vier Keksen. Als ich mich nach einer Viertelstunde wieder besser fühlte, durfte ich nicht gehen: Es stellte sich heraus, dass die Security die Medi-Leute aufgefordert hatte und ich musste deren Eintreffen abwarten. Was beim kalten Luftzug an diesem Eingang nicht so ideal war. Auch brauchten sie ziemlich viel Zeit, hoffentlich sind sie bei Notfällen schneller. Die Untersuchung verlief dann ergebnislos, wozu auch in beitrug, indem ich einen Bluttest verweigerte, den ich angesichts der Situation als etwas übertrieben empfand. Sie mahnten mich, sofort was Salziges zu essen, und entliessen mich.

Was aber noch bevorstand, war das Grenzerlebnis, hier in Form einer einstündigen Warteschlange in einer kalten Halle. Da hätten die Medis also schon ein gutes Wort einlegen dürfen, dachte ich, aber sie waren schon weg. Normal macht mir das wenig aus, aber nun hatte ich Mühe mit der Kälte, mit dem ständigen Stehen… immerhin hörte ich das Klacken der Stempel, immerhin bekam ich am Ende einen schönen Stempel in den Pass. Doch nach der Grenzüberquerung fühlte ich mich so erschöpft und mittlerweile auch fiebrig, dass ich in der Empfangshalle als erstes die Apotheke aufsuchte.

Der kolumbianische Einreisestempel.

Ich bekam ein Antibiotikum und den Rat, nicht in diesem Zustand in den Amazonas zu fliegen, bei all den Krankheitserregern, die dort herumschwirren. Ich nahm ihn fast etwas erleichtert zur Kenntnis, denn meine Lust auf nochmals drei Stunden am Flughafen und zwei Stunden Flug hielt sich arg in Grenzen, überhaupt meine Abenteuerlust nach all den Erlebnissen weiter südlich auf dem Kontinent. Also kapitulierte ich, buchte mir ein Zimmer im Flughafen-Marriott von Bogotá und liess mich von einem Uber dorthin kutschieren. Erst nachdem ich mich zwei Stunden mit Thermounterwäsche im Schlafsack unter der Bettdecke aufgewärmt und etwas Schlaf nachgeholt hatte, hatte ich genügend Energie, überhaupt die Medikamente zu nehmen (letztlich Ibuprofen, nicht Antibiotika).

Wenigstens ist das Hotelzimmer mit einem historischen Stadtplan von Bogotá dekoriert.

Es ist eine völlig neue Erfahrung für mich: In einem neuen Land anzukommen und an den ersten Tagen überhaupt nichts davon zu sehen als ein Hotelzimmer, das auch überall sonst auf der Welt sein könnte. Heute geht es mir besser und ich war kurz auf der Strasse, um Snacks einzukaufen, aber was ich gesehen habe, war einfach eine durchschnittliche lateinamerikanische Vorstadt. Doch für einmal ist mein Bedürfnis nach Ruhe einfach grösser als nach Entdeckung. Ich gehe davon aus, dass dies ab morgen wieder anders ist…

Mein erster Eindruck von Kolumbien.

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