
Highlight Nr. 1: Der höchste Punkt meines Lebens
Es ist ein Highlight im eigentlichen Sinn: Nie zuvor bin ich so hoch über dem Meeresspiegel gewesen wir hier. Nicht im Dreiländereck selbst, sondern auf der Anreise. Von Putre in Chile aus reise ich mit eigenem Fahrer an, öffentlichen Verkehr gibt es hier nicht.* Das ist für lokale Verhältnisse ziemlich teuer, rund 100 Fr. für die dreistündige Fahrt. Darum will mir der Fahrer – er arbeitet sonst als Chauffeur der Dorfschule der Grenzorte – etwas bieten und baut alle möglichen Attraktionen ein. Darunter auch der höchste Punkt meines Lebens, ein Schild nahe des Vulkans Taapacá, das eine Meereshöhe von 5250 Metern verkündet. Ein Selfie wert, aber leider nicht ganz wahr. Mein Handy-GPS zeigte bescheidene 4900 Meter an, nachträgliche Online-Recherchen ebenfalls. Schade.
*abgesehen von wöchentlich zwei Bussen von einem dubiosen Vorstadt-Markt in Arica aus. Nicht dass mich dies abgehalten hätte, aber sie verkehren zu unpraktischen Zeiten.

Den tatsächlichen Rekord breche ich auf der gleichen Fahrt in Suriplaza, einem landschaflich unwirklich schönen, abgelegenen Ort, umringt von farbigen Bergen. Mit dem Jeep nehmen wir einen dieser roten Berge in Angriff, bis es kaum mehr weiter geht. Ich steige aus und schaue aufs Handy: 4960 Meter. OK, die 5000 Meter müssen zu knacken sein, denke ich mir, und schnaufe die Geröllhalde hinauf. Als ich mich auf 5100 Metern wähne, schaue ich nochmals nach: 4980 Meter. Zwei weitere Meter hinauf: 4970 Meter – danke GPS! Ich gebe das Spiel auf und tröste mich damit, die 5000 mit Sicherheit überschritten zu haben. Der Fahrer jedenfalls ist sehr unzufrieden, als ich es ihm später erzähle. Er wäre selbstverständlich noch weiter hinauf gefahren, wenn er das gewusst hätte, stellt er klar.

Highlight Nr. 2: Daniel allein am Grenzübergang
Ich habe schon viele abgelegene Grenzübergänge gesehen (beispielsweise von Kasachstan nach Kirgistan), aber so ganz allein wie in Visviri war ich noch nie. Visviri ist das chilenische Grenzdorf im Dreiländereck: Eine verlassene Bahnstation, 250 Einwohner und deutlich mehr Alpakas, 4083 Meter über Meer. Der Ortsname bedeutet: vom Winde umweht. Hinter dem verfallenen Bahnhofsgelände – einst grosser Grenzbahnhof – befinden sich die Grenzkontrollposten Chiles und Boliviens.

Es ist kurz nach elf Uhr, als ich mich auf das Gelände begebe. In einem Western würde nun der Wind Tumbleweed über die Strasse blasen. Eine nach dem anderen klappere ich die Baracken ab, in denen sich die verschiedenen Kontrollinstanzen befinden. Erst nach ausgiebigem Klopfen, zum Poltern gesteigert, öffnet mir der chilenische Passkontrolleur. Oder vielmehr: schlurft aus dem Schatten hinter den Baracken herbei. Bei den Bolivianern habe ich noch weniger Glück. Zwar kann ich den Zöllner auftreiben, aber den Grenzwächter hat auch er schon lange nicht mehr gesehen. Erst nach Kontaktaufnahme per WhatsApp schlurft auch dieser herbei. Ich sei der erste Reisende an diesem Tag, berichtet er.
Und gibt mir eine bürokratische Hausaufgabe mit: das Passagierformular müsse ich noch beim Gendarmerieposten abgeben. In diesem Formular werden alle Passagiere eines Fahrzeugs verzeichnet, was einigermassen absurd erscheint, wenn man ganz allein und zu Fuss unterwegs ist. Vor dem Gendarmerieposten steht schon eine grosse Metallbox parat für die Formulare, der Gendarm bedeutet mir, auch meines hineinzulegen, dann sei alles OK. In der Box liegen etwa 50 weitere Formulare. Besonders gross scheint das bürokratische Bedürfnis nach ihnen nicht zu sein…

Highlight Nr. 3: als Zug über die Grenze
Von Visviri aus führen eine Strasse und eine Bahnlinie nach Charaña, dem vier Kilometer entfernten bolivianischen Grenzdorf. Autostopp ist aussichtslos, selbst das bolivianische Grenzpersonal war am Morgen zu Fuss gekommen. Dafür habe ich die Wahl: ganz offiziell ist es auch erlaubt, die Grenze auf der Bahnlinie zu queren. Denn sie ist stillgelegt. Die Chance nütze ich, also bin ich nach einem Auto auch noch ein Zug. Es ist eine herrliche kleine Wanderung über die Hochebene, umrahmt von Vulkanen mit schneebedeckten Gipfeln. Links sehe ich auf einem kargen Hügel Vicuñas aufgeregt schreiend herumrennen, rechts im Gras massenhaft braune und weisse Alpacas. Im Gegensatz zu den Vicuñas sind sie nicht wild und müssen sich offensichtlich auch an Grenzen halten: Ein langer Zaun hält sie davon ab, nach Bolivien zu gelangen und sich mit den dortigen Alpacas zu durchmischen. Mich als Zug hindert nichts am Grenzübertritt, leider nicht mal ein Schild, das das neue Land ankündigt.


Highlight Nr. 4: Mein bisher billigstes Hotel
Nicht nur Höhenrekorde mache ich an diesem Tag, sondern auch Tiefenrekorde – nämlich beim Hotelpreis. Auf Google Maps ist in Charaña nur eine einzige Unterkunft verzeichnet, die Hospedaje Trucho. Sie ist zentral gelegen und unglaublich günstig: Nur 2 Franken kostet die Übernachtung. Die billigste Übernachtung meines Lebens, selbst im Container auf der kirgisisch-chinesischen Grenze habe ich 3 Fr. bezahlt.

Natürlich hat die Billigkeit ihren Preis. Ich staune nicht schlecht, als ich die Adresse erreiche: das Hotel schaut eher aus wie ein Schrottplatz. Tatsächlich ist es gleichzeitig auch eine Reifenwerkstatt (Llantería), in deren Innenhof sich drei Zimmer befinden: das Hotel. Der freundliche Besitzer geleitet mich zum mittleren davon, das mich auf den ersten Blick doch etwas erschreckt: es gibt keine Bettwäsche, der Verputz hängt von der Decke, vor den beiden Betten ist ein Motorrad abgestellt. Das Zimmer lässt sich nicht abschliessen, meine Frage nach einem Schlüssel quittiert der Besitzer mit der Bemerkung: „Du wirst wohl kein Gold im Rucksack haben.“ Unnötig zu erwähnen, dass sich das WC hinter den Schrottautos im Innenhof befindet. Eine Heizung gibt es nicht, wie üblich in den Anden, auch wenn das Thermometer nachts deutlich unter den Nullpunkt fällt.

Doch beklagen will ich mich nicht: Es ist toll, dass es an einem solchen Ort überhaupt eine Unterkunft gibt, welche die Reise überhaupt ermöglichte. Der Besitzer ist wirklich freundlich, hilfsbereit und gut informiert – er fährt mich sogar zum eigentlichen Dreiländerpunkt. Und ich schlafe hervorragend, dank mitgebrachtem Schlafsack.
Highlight Nr. 5: Drei Länder, ein Monument
Dafür bin ich hierher gekommen: das Monument an der Stelle, wo Peru, Bolivien und Chile aufeinandertreffen. Von Charaña aus sind es nochmals 20 Minuten Fahrt bis dorthin, nach Tripartito. Das sind zwei gleichnamige Ortschaften direkt nördlich des Monuments, in Peru und Bolivien gelegen. Die chilenische Seite ist nicht besiedelt. Desolate, kleine Dörfer am Ende der Welt, beide mit einem quadratischen Platz in der Mitte, der grösser wirkt als die eigentliche Ortschaft.



Beim Monument bin ich ganz allein, nur ein streunender Hund leistet mir Gesellschaft. Ich umrunde es ein paarmal, Peru-Chile-Bolivien und wieder von vorne, dann setze ich mich eine Viertelstunde hin und schaue in die leere Landschaft, auf das einsame Monument. Viel zu tun gibt es hier nicht, das Monument allein ist vielleicht keine Reise wert, doch es hat mir den Weg gewiesen in diese fantastische Gegend mit all ihren Highlights.

Highlight Nr. 6: Selfie mit dem Grenzpersonal
In Tripartito ist meine Ankunft am Kontrollposten ein noch viel selteneres Ereignis als in Visviri. Ich klopfe am blauen Kontrollposten an, und es öffnet mir ein höchst erfreuter peruanischer Grenzwächter, der schon fast eine Woche lang keine Reisenden mehr gesehen hat. Fast etwas enttäuscht ist er, als ich ihm berichte, dass ich nur 20 Minuten in Peru war und nun zurück nach Bolivien gehe. Etwas scheinheilig frage ich, ob dennoch eine Kontrolle nötig sei (offensichtlich ist sie das nicht, aber ich hätte gern einen Stempel). Der Peruaner aber steigt darauf ein und findet, auch wenn dies strenggenommen nicht notwendig sei, mache er es doch sehr gerne. Die Ein- und Ausreisekontrolle erledige er gleich auf einmal. So bekomme ich gleich zwei Stempel und muss nochmals zwei Passagierformulare ausfüllen, ich bin ja in beide Richtungen ein imaginäres Auto.

Wichtiger ist dem Grenzwächter aber, den seltenen Besuch zu verewigen. Er ruft seinen Gehilfen herbei, um uns während der laufenden Kontrolle zu fotografieren. Fast überall auf der Welt ist dies verboten, und so kann ich mir dies nicht entgehen lassen – und tatsächlich gibt es auch für mich ein Bild! Der Grenzwächter weist den Gehilfen zwar an, so zu fotografieren, dass der Bildschirm mit dem Migrations-Registrierungssystem nicht sichtbar sei. Doch da dies nicht ganz geklappt hat, habe ich hier etwas nachgeholfen:

Highlight Nr. 7: Zugfahrt nach Viacha
Um die Weiterreise mit dem Zug muss ich lange bangen. Gemäss Online-Fahrplan verkehrt von Charaña aus zweimal wöchentlich ein Zug nach Viacha, ein Vorort von La Paz. Doch am Bahnhof stelle ich fest, dass der Zug schon eine Woche in Charaña festsitzt. Wobei „Zug“ ein grosszügiger Begriff ist, es handelt sich um einen uralten Mercedes-Bus, der auf ein Schienenstell geschweisst wurde. Den ganzen Abend versuchen die Mitarbeiter der Ferrocarril Andina, den Motor wieder flottzukriegen. Ich habe grosses Glück: am nächsten Tag fährt der Zug tatsächlich wieder.
Anstatt mit vielen Worten habe ich die eindrückliche Fahrt mit einem kleinen Video dokumentiert:

Hi Daniel – cooler Trip und deine Kommentare – sensationell – ein 2. Standbein als Reiseschriftsteller würde sicher von Erfolg gekrönt sein 🙂
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Hoi Ulli, das freut mich 🙂
Das 2. Standbein versuche ich ja ständig, bisher leider nicht so lukrativ…
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