Grenzen | Borders

Grenze #15 Europa – Asien: Eine Stadt, zwei Kontinente

Wie Istanbul hat auch Atyrau einen asiatischen und einen europäischen Teil. Aber sehr viel weniger Charme.

Ausreise aus: West-Atyrau, Oblast Atyrau, Kasachstan, Europa
Einreise nach: Ost-Atyrau, Oblast Atyrau, Kasachstan, Asien
Benötigte Dokumente: keine
Wartezeit: keine
Distanz ab Bern: 6.613 km
Überquert am 15.06.2017, ca. 19:30 Uhr und danach noch mehrfach
Bewertung: 2/10
Beschreibung:
6.613 Kilometer und 15 Tage nach meiner Abfahrt in Bern war es soweit: Zum ersten Mal auf dieser Reise überquerte ich die Landgrenze zwischen zwei Kontinenten. Nur zwei Kilometer vor der Ankunft am Bahnhof von Atyrau fuhr das Sammeltaxi aus Astrachan über Ural-Brücke. Vom Fluss Ural wird allgemein angenommen, dass er südlich des Ural-Gebirges die Grenze zwischen Europa und Asien bildet. Geografisch gesehen ist diese Linie ziemlich willkürlich. Europa und Asien sind eigentlich ein einziger Kontinent: Eurasien. Für Kasachstan hat sie aber einige Bedeutung, denn nur dank ihr kann sich das Land als asiatische und europäische Nation sehen. Dank dem europäischen Teil westlich des Ural-Flusses, den ich in wenigen Stunden durchquert hatte, dürfen kasachische Fussballvereine am Europacup teilnehmen, darf Kasachstan am Eurovision Song Contest teilnehmen.

Auch für mich bedeutete die Linie viel. Ich reise gerne und viel auf dem Landweg, aber noch nie zuvor war ich nur mit Zug und Bus in den asiatischen Teil der ehemaligen Sowjetunion gereist. „So sind wir also in Asien“, kommentierte ich zu meinen Mitreisenden, mit denen ich über die ganze Fahrt geredet hatte. Niemand reagierte. Für die Einheimischen war die Kontinentalgrenze offensichtlich irrelevant, falls sie überhaupt von ihr wussten.

Nach der Ankunft checkte ich in einem Hotel auf der asiatischen Seite ein und schaute mir die Grenze im Stadtzentrum an. Auch dort gab es eine Brücke, mit jeweils zwei Pavillons auf beiden Seiten: „Europa“ und „Asien“ stand auf ihnen. Mehr machte die Stadt nicht aus ihrer interkontinentalen Position. Sie hatte es auch nicht nötig: Nicht der Tourismus macht Atyrau reich, sondern die Erdölförderung.

Diese war auch der Grund, warum ich in Atyrau deutlich mehr westliche Ausländer antraf als bisher an jeder Destination dieser Reise. Es gab glänzende Spiegelglaspaläste der grossen Energiefirmen, Filialen von Fastfood-Ketten wie Burger King, internationale Schulen und teure Hotels. Auch in meinem billigeren Hotel sassen die Expats im Pub hinter der Rezeption, tranken und rauchten. Ein Bild, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Als ich ankam, unterhielten sich gerade zwei Inder auf Russisch mit einer kasachischen Prostituierten.

Atyrau war keine ansehnliche Stadt. Es unterschied sich nicht wesentlich von den Wüstendörfern, die ich auf dem Weg durchquert hatte: Ärmliche Häuser, Staub, überall Masten und Rohre. Nur eine herausgeputzte Strasse verband die beiden Stadtzentren: Das alte, sowjetische auf der asiatischen Seite und das neue, kasachische in Europa. Mittelpunkt des neuen Zentrums ist ein riesiger, fast leerer Platz mit einigen Monumenten – ein Reiterdenkmal für Abai, eine stilisierte Jurte, ein riesiger Schriftzug ATYRAU (für Selfies) und eine Moschee, wo mich ein älterer Herr zu einer Instant-Konversion zum Islam überreden wollte.

Ein neuer Kontinent reichte mir aber, ich brauchte an diesem Tag nicht noch eine neue Religion. Auch in Asien gibt es viel zu entdecken: Vor mir liegen tausende grenzenreiche Kilometer. Und am anderen Ende gibt es nach Ozeanien keine Landgrenze mehr zu überqueren, sondern nur noch viel Wasser. Was dann hoffentlich auch den Einheimischen auffällt.

P1020538„Einreise“ nach Asien: Asiatischer Stadtteil von Atyrau

P1020531.JPGBlick zurück von Asien (Strand) nach Europa (Hochhäuser)

P1020588Wenig Charme: Zentraler Platz von Atyrau mit Moschee

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