Verlässt man in Bissone die Autobahn und folgt dem Ufer des Luganersees, gelangt man zu diesem Bogen: Dem Arco di Campione. Er markiert die Grenze der italienischen Exklave Campione d’Italia, die auf allen Seiten von der Schweiz umgeben ist. Der Bogen sieht aus, als stamme er vom Tessiner Stararchitekten Mario Botta. Aber er ist viel älter, wurde zu Zeiten Mussolinis erbaut. Auch der Namenszusatz „d’Italia“ im Ortsnamen stammt von den Faschisten.
Die Exklave Campione d’Italia ist nur etwas mehr als zwei Quadratkilometer gross – und dennoch grösser als der souveräne Staat Monaco. Gleich wie in Monaco basiert die Wirtschaft auch in Campione d’Italia auf dem Casino, oder besser gesagt: basierte.
Das Casinò Municipale liegt unübersehbar in der Mitte des kleinen Dorfs, sogar von Lugano aus ist es problemlos erkennbar. Architekt war hier tatsächlich Mario Botta, aber der bescheidenere Grenzbogen am Stadtrand gefällt mir dennoch besser. Über Jahrzehnte bezog die Gemeinde Campione fast all ihre Steuereinnahmen aus dem Casino und lebte auf grossem Fuss.
Fast gleichzeitig mit dem Neubau begann das Geschäft aber zu kränkeln: Auch in der Schweiz war Glücksspiel plötzlich erlaubt, hinzu kam die Konkurrenz aus dem Internet und der in italienischen Bars immer verbreiteteren Spielautomaten. Im Juli 2018 ging das Casino bankrott – und seither ist nichts mehr wie es war in Campione d’Italia. Mangels Steuereinnahmen musste die Gemeinde den Kindergarten, das Altersheim und die Touristeninformation schliessen. Der letzte Dorfladen ging 2019 zu – seither ist der Coop einer Tankstelle in Bissone die nächste Einkaufsmöglichkeit.
Campione ist die einzige Ortschaft Italiens, in der der Schweizer Franken offizielles Zahlungsmittel ist. Entsprechend hoch ist das Preisniveau: Zwei kleine Bier für 12 Franken (oder 11.43 Euro). Lange Zeit war dies kein Problem für die wohlhabenden Campionesi. Seit dem Konkurs des Casinos aber beziehen viele italienisches Arbeitslosengeld – und damit kann man auf Schweizer Preisniveau schlecht leben.
Aber es wurde noch übler für die Campionesi: 2019 beantragte Italien bei der Europäischen Kommission die Eingliederung Campiones in den Europäischen Wirtschaftsraum. Bis dahin war Campione wirtschaftlich ein Teil der Schweiz gewesen – auch die Infrastruktur wurde grösstenteils vom Kanton Tessin gestellt, so der öffentliche Verkehr, die Müllabfuhr; aber auch Post und Telefon liefen über die Schweiz und die Autos hatten Tessiner Kennzeichne. Seit dem 1. Januar 2020 ist das alles vorbei, Campione muss alles neu arrangieren. Und: Die Grenze zur Schweiz ist plötzlich zu einer richtigen Zollgrenze geworden. Das schweizerische Grenzwachtkorps hat neue Schilder angebracht und am schon am 1. Januar – wohl symbolisch – mit Kontrollen begonnen. Anlässlich meines Besuchs habe ich keine Kontrollen gesehen. Wozu auch – was sollen die Campionesi auch verzollen?
Hier ist Campione noch lebendig: An der Piazza am Schiffsanleger gibt es mehrere Bars und Restaurants. Wie im „richtigen“ Italien bekommt man zu jeder Getränkebestellung ein paar Snacks.
In Campione d’Italia leben auffällig viele Russen. So viele, dass die Immobilien teils nur auf Russisch ausgeschrieben werden. Keine Ahnung, was sie in Campione tun. Aber arme Russen sind es sicher nicht, das ausgeschriebene Haus hat eine Garage für 3 Autos.
Nördlich von Campione versperrt ein hoher Felsen die Weiterreise dem Luganersee entlang. Nur ein Wanderweg führt in dieser Richtung aus der Exklave hinaus, zum Weiler Pügèrna der Gemeinde Arogno. Die Grenze ist hier ziemlich unauffällig markiert, mit dieser fast hundertjährigen Metalltafel am Waldrand.
Folgt man dem Luganersee in östlicher Richtung, gelangt man vorbei an gemütlichen Grotti zu einem weiteren grenztouristischen Highlight: Dem Schweizerischen Zollmuseum. Es befindet sich an der Grenze zum italienischen Kernland im ehemaligen Zollposten Cantine di Gandria. Das Museum ist der Geschichte dieses Gebäudes gewidmet, einst einem harten Einsatzort für die Grenzwächter: Der Posten ist nur per Schiff von Gandria aus erreichbar und war im Winter manchmal lange von der Aussenwelt abgeschnitten. Ausserdem zeigt das Museum die aktuelle Tätigkeit des Grenzwachtkorps, und vor dem Museum findet man eine Menge historischer Grenzsteine und -tafeln.