
Die Raffinerie in Schwedt war enttäuschend. Ich hatte sie erstmals aus einem Flugzeug gesehen, vor der Landung in Berlin. Beeindruckend: Das Werksareal ist deutlich grösser als die Stadt an sich. Vor Ort sieht man davon leider nicht viel. Die PCK-Raffinerie ist weiträumig abgesperrt, nur aus der angrenzenden Gewerbezone kann man hin und wieder einen Blick darauf erheischen.

Der Weg dorthin ist aber spannend. Unerwarteterweise gibt es in Schwedt nämlich auch klassische Sehenswürdigkeiten – z.B. das Schlösschen Monplaisir. Einst war es von einem riesigen französischen Park umgeben, der sich bis zur heutigen Raffinerie hin erstreckte. Zur DDR-Zeit fand das Schlösschen Verwendung als „Gaststätte der III. Kategorie“. Nach der Wende hat man es renoviert, der Park lässt sich aber lediglich erahnen: Alles überwuchert, nur auf den Landkarten sieht man den Grundriss noch.

Gleich am Rand der Raffinerie befinden sich ein paar Plattenbauten. In ihnen befand sich einst das berüchtigte Armeegefängnis der DDR, die deutsche Version von Enda Shadushay (Militärgefängnis in Eritrea). Auch heute umgibt das Areal eine geheimniskrämerische Atmosphäre. Zwar erklären Schilder wie in einem Museum die vorherige Funktion der Gebäude. Ein Anwohner macht mich aber nachdrücklich darauf aufmerksam, dass das Fotografieren hier verboten ist. Ich erfahre leider nicht warum das so war, denn ich habe bereits genügend Fotos gemacht und verzichte darum auf die Diskusssion.

Meine Suche nach einem schönen Ausguck auf die Raffinerie endet im Wald und später bei streng bewachten Wachposten am Zaun, der das Areal umgibt. Schilder untersagen auch hier das Fotografieren (hat die DDR letztlich hier noch überlebt?!). Der Sozialismus scheint zwar vorbei zu sein und die Firma PCK privat, aber an der Verbotskultur hat sich noch nichts geändert. Am Ende gelingt mir ein halbwegs passables Industriefoto vom Gelände einer benachbarten Firma. Der Fahrer eines Autos mit polnischem Kennzeichen beäugt mich dabei skeptisch. Dann fährt er los – nach Hause, nach Polen.

Ein beträchtlicher Teil der Mitarbeiter der Raffinerie sind Grenzgänger aus der benachbarten polnischen Woiwodschaft Westpommern, und so drängt sich ein Besuch am Grenzübergang natürlich auch für mich auf.
Der Weg führt durch das Stadtzentrum von Schwedt: Eine Ansammlung von Plattenbauten und den Resten einer Altstadt. Die backsteingotische Stadtpfarrkirche ist schön anzusehen, aber in der Fussgängerzone ist tote Hose. Es gibt nur wenige Geschäfte und Restaurants. Es scheint, als hätte sich das gesellschaftliche Leben in das nahe gelegene Einkaufszentrum „Oder-Center“ verlagert: Hier treffen sich die Leute. Die Burger-King-Filiale wirbt auf Plakaten um neue Angestellte („Komm auf die andere Seite des Grills“) – ausschliesslich auf Polnisch. Auch in den Läden sind viele Kunden Polen, mittlerweile sind viele Produkte in Deutschland billiger als in Polen. Und viele Deutsche sind abgewandert: 1990 hatte die Stadt noch über 50’000 Einwohner, heute sind es noch knapp 30’000. Ganze Plattenbauquartieren wurden seit der Wende abgerissen.

Vier Kilometer Auenlandschaft trennen Schwedt vom polnischen Nachbardorf Krajnik Dolny. Bemerkenswert: Die Ortsschilder von Schwedt in Richtung Polen sind einsprachig nur auf Polnisch beschriftet.

An der deutsch-polnischen Grenze ist kaum vorstellbar, dass hier vor wenigen Monaten noch strenge Kontrollen stattfanden. Das Zollgebäude aus der Vor-Schengen-Zeit zerfällt langsam, die Vegetation erobert sich den Vorplatz zurück. In einer Ecke hängt der Rest eines Spruchbands, der wohl die Wiedereröffnung der Grenze nach den Corona-Schutzmassnahmen forderte. Der Verkehr rollt ungehindert über die Brücke. Auf der polnischen Seite ist ein Streifenwagen der Zollbehörde abgestellt, aber bei näherer Betrachtung sehe ich, dass er leer ist. Attrappe.


Krajnik Dolny hat das typische Erscheinungsbild eines Grenzdorfs neben einem teureren Nachbarland: Massenhaft Läden mit Alkohol und Tabak, dann ein Gartencenter, ein Sexshop und ein paar Restaurants. Den Schwedtern scheint die polnische Küche und insbesondere ihre Wurstwaren zu bekommen. Besonders auffällig ist die riesige Anzahl an Coiffeuren – mindestens jedes dritte Haus beherbergt einen. Selbst wenn es in Schwedt keinen einzigen Coiffeur gibt, ist dies ein beträchtliches Überangebot. Vielleicht reisen ja die Lastwagenfahrer Europas von weither an für einen Krajniker Haarschnitt.

Ich machte dann noch eine Runde mit dem Velo in ein paar Nachbardörfer – der Radweg der Oder entlang ist echt schön und darüber hinaus gesäumt von fotogenen Grenzpfählen. Anders als ich erwartet hatte, ist die Landschaft hier nicht flach, sondern hügelig. Es gibt Wanderwege in diesen Hügeln, am Oderufer sitzen Fischer. Auf dem Radweg sind ein Auto und ein Lastwagen zusammengeprallt, die Polizei ist gerade eingetroffen, als ich daran vorbeifahre.

In Zatoń Dolna treffe ich auf die improvisierte Gartenwirtschaft einer Anwohnerin namens Beata und genehmige mir ein alkoholfreies Lech-Bier mit Grapefruit-Pomelo-Geschmack (Beata hat offenbar keine Schanklizenz) – welch Sünde, die jedoch erfreulich an die iranischen Istak-Malzgetränke erinnerte. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe deutscher Rentner und philosophiert mit Beata über die dummen Touristen, die mit ihren Autos den Radweg benutzten und steckenblieben – gerade war die Feuerwehr mit der Bergung eines solchen Autos beschäftigt. Eine Szene wie im Rheintal – wahrscheinlich war es ein Zürcher!

Ich glaube der Kerl war höchstwahrscheinlich noch nie in Schwedt.
Der sollte sich mal im verkommenen Ruhrgebiet umsehen.
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Ja, das steht noch auf meiner Liste! Bitterfeld-Wolfen hat mir auch gefallen.
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