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Grenze #24 Xinjiang – Qinghai: Die Asbestmine

„Asbestmine“ heisst das Dorf an der Grenze der chinesischen Provinzen Xinjiang und Qinghai – ein depressiver Flecken. Obwohl es nur eine Provinzgrenze ist, gibt es vollwertige Grenzkontrollen – nur leider keinen Stempel.

Ausreise aus: Yetimbulaq/Shimiankuang, Autonome Provinz Xinjiang der Uiguren, Volksrepublik China
Einreise nach: Huatugou, Qinghai, Volksrepublik China
Benötigte Dokumente: Reisepass, chinesisches Visum
Wartezeit: 20 min (Xinjiang), 15 min (Qinghai)
Entfernung ab Bern: 15.346 km
Bewertung: 8/10
Beschreibung:
Shimiankuang ist eine Bergarbeitersiedlung. Der chinesische Name heisst übersetzt „Asbestmine“, und die Asbestmine ist auch der Daseinszweck der Siedlung: Gleich hinter ihr beginnt der Tagebau. Hellgrau türmt sich der Schutt am Horizont. Eine Kolonne von Lastwagen bringt das abgebaute Erz laufend aus der Mine heraus. Der Wind trägt den Staub durch alle Strassen, denn Shimiankuang liegt auf über 3.000 Metern über Meer, auf einer Ebene ohne Bäume. Langsam bröckeln die armseligen einstöckigen Ziegelhütten vor sich hin.

P1070427.JPGArbeitersiedlung Shimiankuang/Asbestmine

Die Uiguren, zu deren autonomer Provinz Xinjiang die Siedlung gehört, haben ihr einen schöneren Namen gegeben: Yetimbulaq (Siebenquell). Dennoch hat es die abgelegene Region bisher nicht auf die touristische Landkarte Chinas geschafft. Erstaunlich eigentlich: Viele Sehenswürdigkeiten Chinas erinnern ans Disneyland und sind austauschbar. Asbestmine hingegen ist authentisch und auf seine Art einzigartig.

Denn Asbestmine ist nicht nur eine traurige Industriesiedlung, es liegt auch auf der Grenze zweier riesiger Provinzen mit bedeutenden ethnischen Minderheiten: Dem uigurischen Xinjiang und dem tibetisch-mongolisch geprägten Qinghai. Und beide Provinzen unterhalten riesige Kontrollterminals an ihren Grenzen, die viele internationale Grenzen in den Schatten stellen. Deshalb war der Besuch von Asbestmine auch eine Passport Party.

Asbestos Mine.jpg

Eigentlich war bereits die Reise durch Xinjiang die ultimative Passport Party gewesen. In sieben Tagen habe ich den Pass schätzungsweise 120mal vorgezeigt – so oft wie noch nie in meinem Leben. Xinjiang ist ein Polizeistaat schlechthin und fühlt sich an wie die Umsetzung von Orwells Klassiker mit der Jahreszahl als Titel. Diese Kontrollen sind aber fast gänzlich ineffektiv. Etwa bei jedem dritten Scan meines Passes erwischten die Polizisten nicht die Personalienseite oder das chinesische Visum, sondern das russische Visum. Scanner hatten sie meistens ohnehin keine, dafür aber Smartphone-Kameras. Mehrfach musste ich gemeinsam mit meinem Pass für „Mugshots“ hinstehen – die Fotos verschickten sie dann sofort auf WeChat weiter, dem chinesischen WhatsApp. Datenschutz darf man hier keinen erwarten.

Nach Asbestmine war ich über die „südlichen Seidenstrasse“ (siehe Blogeintrag dazu) gekommen, die in Xinjiang  dem Südrand der Taklamakan-Wüste entlang führt. Das war schon nicht einfach gewesen. Niemand konnte mir in Kashgar sagen, ob man das als Ausländer überhaupt darf, oder ob man eine Spezialbewilligung braucht. Noch weniger Informationen fand ich zum Grenzübergang nach Qinghai. Dieser führt nämlich in ein Gebiet, das zumindest von Qinghai her für Ausländer gesperrt ist. In Kashgar bekam ich dazu nur Mutmassungen: Es müsse eigentlich gehen. Aber vielleicht gebe es keine Hotels, die Ausländer aufnehmen. Und das sei nicht zu unterschätzen, ohne polizeiliche Registrierung in einem Hotel dürfe man sich an einem Ort nämlich gar nicht aufhalten. Es klappte aber, und ich hatte nirgendwo Probleme, abgesehen von den unzähligen Polizeikontrollen an Checkpoints, Hoteleingängen, Bahnhöfen, Fussgängerzonen etc. Es sprach aber absolut niemand irgendeine Fremdsprache und es gab keinerlei touristische Infrastruktur. So war es immer eine Herausforderung herauszufinden, wo man als Ausländer übernachten darf und wie man an die nächste Destination kommt.

Die Grenze nach Qinghai machte die Wahl dieser beschwerlichen Route aber absolut wert. Von Charqiliq aus, der letzten uigurischen Stadt, musste ich dazu ein namenloses, völlig leeres Gebirge durchqueren. Herrliche Landschaften, die ausserhalb dieser Region wohl völlig unbekannt sind. Und diese Busfahrt führte mich nach Shimiankuang.

P1070438.JPGEinkaufsstrasse im Ortszentrum von Shimiankuang

Shimiankuang aka Asbestmine ist wirklich so trostlos, wie es der Name verspricht. Das Ortszentrum bildet ein viereckiger, eingezäunter Kiesplatz, auf dem einsam eine chinesische Flagge flattert – sogar die sonst übliche Mao-Statue fehlt. Daneben die erbärmliche Fussgängerzone, die aus windschiefen Hütten mit Läden besteht, die meisten davon bereits geschlossen. Vor der Fussgängerzone gibt es einen einzigen Marktstand – ein Herr verkauft Handyhüllen. Dahinter befindet sich bereits das öffentliche WC. Als wäre das Dorf nicht schon traurig genug, hat man dieses unglücklicherweise so gebaut, dass die Exkremente der letzten paar Jahre in einem grossen Loch zur Strasse hin sichtbar sind.

Ich kam um vier Uhr nachmittags in Asbestmine an und wollte gerne noch weiter nach Qinghai reisen. Niemand konnte aber sagen, ob noch ein Bus nach Huatugou, der ersten Stadt in Qinghai, fahren würde. Gemeinsam mit einem anderen Reisenden, der auch nach Huatugou unterwegs war, liess ich mich im einzigen Restaurant nieder. Es umfasst nur zwei Tische, auf der Speisekarte ein Menu: Nudeln mit Fleisch und Gemüse. Kein Festessen, aber deutlich besser als das Essen in vergleichbaren Ortschaften in der Ex-Sowjetunion.

P1070414.JPGRestaurant in Shimiankuang/Asbestmine

Wir assen, wir warteten. Kein Bus kam. Mir war es eigentlich egal, ich hätte auch in Asbestmine übernachtet. Auch wenn der Asbeststaub nicht gerade den Eindruck machte, dass er der Gesundheit sehr zuträglich sei. Um sechs Uhr aber schloss der Herr mit den Handyhüllen seinen Stand und teilte uns mit, dass er jetzt nach Huatugou fahre. Wir stiegen ein.

Bisher hatte ich an den Checkpoints noch keinen Ärger gehabt. Ich tat ja zumindest meines Wissens nichts, was Ausländern verboten ist. Auch die Ausreise aus Xinjiang war wohl noch völlig legal, denn die Reisebeschränkungen für den angrenzenden Autonomen Bezirk Haixi der Tibeter und Mongolen waren ja von der Regierung in Qinghai ausgesprochen worden: Ausländer mussten eine Reisebewilligung auf einem Büro namens PSB beantragen. Von Xinjiang aus ist dies aber nicht möglich, da eben nur die Qinghai-Behörden die Bewilligung ausstellen. Den Xinjiang-Grenzpolizisten war es entsprechend egal.

Auf der Qinghai-Seite der Grenze war ich darum ein bisschen nervöser. Vor allem darum, weil gerade die Erdölstadt Huatugou explizit für Ausländer gesperrt ist und es darüber hinaus am gleichen Abend keine Transportoptionen mehr gab. Es blieb mir also gar nichts anderes übrig, als dort zu übernachten. Der Grenzwächter schaute den Pass denn auch sehr lange an, und noch ein „Mugshot“ musste her. Meine Daten übertrug er in ein grosses Buch. Dann eine einzige Frage: „Wohin gehst du?“ – „Golmud!“ antwortete ich wahrheitsgemäss. Dies hatte ich wirklich vor, auch wenn es am gleichen Tag ja nicht mehr möglich war.

Huatugou ist eine eigenartige Stadt. Sie liegt auf der gleichen baumlosen Hochebene wie Asbestmine und sieht genauso kahl aus. Nicht heruntergekommen aber, sondern auf eine industrielle Art sehr sozialistisch, wie man dies von China gar nicht mehr gewohnt ist. Die fünfstöckigen Wohnblöcke in Pastellfarben machten einen leeren Eindruck, ebenso die Strassen, nur hin und wieder sah ich die Mitarbeiter des Ölkombinats in ihren Arbeitsuniformen. Irgendwie erinnerte es mich an Nordkorea. Am Stadtrand aber gab es eine ganze Strassenzeile mit Karaoke-Lokalen mit blinkenden Fassaden, und die erinnerte eher an Wildwest.

P1070533.JPGErinnerte mich an Nordkorea: Ölstadt Huatugou

Dass die Stadt keine ausländischen Gäste erwartete, wurde dann schnell offensichtlich. Ich klapperte mehrere Hotels ab und wurde immer wieder abgewiesen, teils schon bevor ich überhaupt das Gebäude betreten konnte; einmal auch, nachdem ich bereits bezahlt und ein Zimmer bezogen hatte. Schliesslich landete ich, wie bereits jeweils in Xinjiang, im teuersten Schuppen vor Ort. Sogar hier brauchten die Angestellten volle drei Stunden, um meinen Pass polizeilich zu registrieren. Im hohen Zimmerpreis in dieser geheimen Ölstadt inbegriffen aber war – ein ausgezeichneter Ausblick auf das Gelände des Ölkombinats!

Praktische Informationen:
Öffentlicher Verkehr: Von Charqiliq (Ruoqiang) verkehrten im Juli 2017 täglich zwei Busse, um 11 und 19 Uhr (4-5 h Fahrzeit, 98.50 CNY) nach Shimiankuang. Zudem führt der Nachtbus von Charqiliq nach Golmud (16.30 Uhr, 15 Stunden) durch das Gebiet. Zwischen Shimiankuang und Huatugou (ca. 70 km) verkehren angeblich auch zwei tägliche Busse. Ich bin aber zu spät in Shimiankuang angekommen, um dies zu überprüfen. Von Huatugou gibt es in östlicher Richtung täglich zwei Busse, nach Xining und Delingha (9 Uhr, 283 CNY) sowie nach Golmud (9.30 Uhr). Es ist nicht immer spontan möglich, Tickets für diese Busse zu bekommen.
Unterkunft: Die meisten Hotels in der Region nehmen keine Ausländer auf, Diskutieren bringt nichts. Ausnahmen sind das Hotel Loulan in Charqiliq und das Hotel Ping Hua in Huatugou. Beide Hotels sind zentral gelegen, das Standardzimmer kostet jeweils 288 CNY. In Charqiliq soll es zudem ein billigeres Hotel für Ausländer geben, ich habe es aber nicht gefunden. In Shimiankuang sind mir keine Unterkünfte bekannt und die Polizei dürfte es nicht gerne sehen, wenn Ausländer dort übernachten. Im Notfall dürfte sich aber schon eine Lösung finden.
Essen: In Charqiliq und Huatugou gibt es zahlreiche Restaurants (chinesische und uigurische Küche) und Geschäfte. In Shimiankuang gibt es nur eine Kneipe in der Ortsmitte, wo auch die Busse aus Charqiliq ihre Fahrt beenden . Sie hat keine Speisekarte, die sich aber ohnehin erübrigt: Ohne Diskussion wurden mir Nudeln mit Gemüse, Zwiebeln und etwas Schaffleisch aufgetischt, anderes gab es nicht. Hinter der Kneipe gibt es mehrere sehr einfache Läden.
Geld: Bankomaten in Charqiliq und Huatugou.
Öffnungszeiten: Der Grenzübergang zwischen Xinjiang und Qinghai ist rund um die Uhr geöffnet.

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